Einstürzende Neubauten: Perpetuum Mobile

Einstürzende Neubauten: Perpetuum Mobile (Mute/EMI)

Es gab Zeiten, als alle Assoziationen klar auf der Hand lagen. Wer von den Einstürzenden Neubauten hörte, hatte umgehend unsagbar lärmende Krachexzesse, industrielle Wut und vordergründig wirre Textfragmente im Sinn. Anarchistische Klänge, fernab jedweder Massenkompatibilität geschweige denn Radiotauglichkeit. Das Blatt begann sich erst ganz langsam zu wenden, als auf den Plattenspielern einiger End-Achtziger Kleinstadtdiskotheken das „Haus der Lüge“ Einzug hielt. Putzige und niederschmetternd komische Annäherungsversuche schlugen in der Folge fehl. Der Gipfel des Ganzen: Blixa Bargeld im Sat1-Frühstücksfernsehen Auge in Auge mit einer gefährlich halbwissenden Moderatorin. Momente, die die Welt nicht braucht. Bis heute haben sich die Dinge konsequent weiterentwickelt. 23 Jahre nach ihrer Gründung schweben die Einstürzenden Neubauten in der aktuellen Besetzung Blixa Bargeld, Alexander Hacke, N. U. Unruh, Jochen Arbeit und Rudi Moser schon lange in zugänglicheren poetischen Sphären. Doch Obacht! Leichte Kost ist das mitnichten. Bargelds Charisma leuchtet über fast jeder Erzählung, die zu verstehen versuchen ein Ideal sein mag, dem sich nicht notwendigerweise umgehend genähert werden will. Es ist einmal mehr die viel beschworene Summe der einzelnen Teile. Hat man den Baumeister des Textklangs zudem bereits einmal auf einer Theaterbühne (wie zum Beispiel zuletzt in Weimar zusammen mit Ben Becker/“Baal“) erlebt, erschließen sich leicht intensive Bilder zum „Hörspiel“. Zentrales Ereignis des aktuellen Albums „Perpetuum Mobile“ ist der fast viertelstündige gleichnamige Track, eine Reise durch Zeit und Raum, scheinbar gehetzt und doch nur aus eigenem, ewigem Antrieb. „Ein leichtes Säuseln“ wird all denen gefallen, die Bargeld zu den kurzen Lebzeiten des Tim Isfort Orchesters erlebten, während das folgende „Selbstportrait mit Kater“ dann doch mit dem Klischee der ewig Eisenstangen und ähnliches bearbeitenden Band spielt. Ein Bild übrigens, welches die Musiker im aufwändig gestalteten Cover ebenso bedienen wie in Installationen aus abstrusen Klängen, stereotonalem Brummen („Boreas“) und nachdrücklichen Worten. Gezügelte Radikalität trifft so in einer perfekt austarierten Mischung auf subtile, mitunter fragile Schönheit („Youme & Meyou“), welche unbedingt nach Kopfhörern verlangt, um dort hin zu gelangen, wo die Band ihre Zuhörer hinführen will. Im März kommen die Einstürzenden Neubauten auf ausgedehnte Deutschland-Tour und nebst der herkömmlichen Konzertorte werden, wie in Hamburg (Musikhalle) und Stuttgart (Theaterhaus Wangen), auch Spielstätten dabei sein, die man sich zu Beginn der Bandgeschichte wohl niemals hätte im Traum vorstellen können oder wollen. Die Zeit ist mittlerweile lange reif dafür, und so viel ist bereits jetzt sicher: das Publikum wird aus allen nur erdenklichen musikalischen Ecken zusammenströmen, um sich einzulassen auf das Perpetuum Mobile, welches in seinem Selbstverständnis ja niemals aufhören dürfte, sich (voran)zu bewegen. Ein Glück!