An diesem Konzert war ja nun wirklich mal alles irgendwie besonders: Das ging mit der Planungsphase los. Ursprünglich waren für das Wochenende des Autoren ein völlig anderes Venue und krass unterschiedliche Bands ins Auge gefasst. Das betraf weiter die mit 600 Kilometern doch unüblich lange Anfahrt, die herrlich exotische Location, die haufenweise netten (Wieder-)Begegnungen vor Ort und nicht zuletzt dem Beiwohnen eines Konzertes von Musikern, die sich neben ihrer nahezu einzigartigen Virtuosität auch noch - einem Artenschutzabkommen nicht unähnlich - der Bewahrung von seltenen Skalen/Tonarten und abgedrehten Taktzahlen verschrieben zu haben scheinen. In Summe hat sich jedenfalls jedes einzelne Meterchen der Hin- und (durch Ferienende-Staus "versüßten") Rückreise gelohnt.
Zunächst galt es jedoch, das Kafe Kult überhaupt zu finden. Auch dem Gastgeber, seines Zeichens jahrzehntelanger Wahlmünchner und selbst Musiker, war dieser Musentempel in Oberföhring bislang noch nicht vertraut. Später erfuhren wir von Fotografin Maria, dass im großen Saal dieses auf skihüttenartige Weise urgemütlichen Etablissements früher die legendären Elektrohasch-Label-Nights stattgefunden haben. Die heute zunächst leider noch überschaubar wenigen Besucher wurden hingegen in den mit Accessoires wie Waschtrögen an den Wänden, Tierskulpturen an der Decke und einer steinalt wirkenden, wunderschönen grünen Laterne an der Bühnenrückwand aufgewerteten Schankraum geleitet. Wo die Berlin/Hannoveraner Formation Counter-World Experience dann auch pünktlich um 21 Uhr den Meshuggah-Riff-Knüppel aus dem Sack holte.
Gitarrist Benjamin Schwenen löst live prompt die hohen Erwartungen ein, die durch Anhören und teils auch Rezensieren der anspruchsvollen C-WE-Werke entstanden waren. Live erinnerte er durch Geschwindigkeit des Vortrags, seine Haar- und Barttracht, das häufige Grinsen sowie das ironisch-gebrochene Metal-Posing ein wenig an den großen Mattias IA Eklundh. Obschon er im Gespräch nach dem Gig - zu Recht - betonte, dass der Skandinavier doch einen viel trockeneren Sound als er am Start hat. Ohnehin sind C-WE in Summe ein singuläres Phänomen. Beispielsweise die sublimierende Verarbeitung von Eindrücken eines Mallorca-Urlaubs "Fuego Barbarico" gefällt mit einer nahezu "akustisch" klingenden Flamenco-Einleitung. Während das im Titel eventuell etwas mit Pat Metheny kniepäugelnde "Watercolored" mit Gitarrensolospiel von nicht enden wollendem Sustain à la Frank Zappas "Watermelon"-Stil - dann aber gefolgt vom knackigen Dregs-Duktus eines Steve Morse - ebenso überzeugt wie mit enorm swingendem Drumming und einem sehr jazzigen Bass-Solo.
Vom jüngsten, an diesem Tag offiziell noch gar nicht veröffentlichten und besonders hörenswerten Werk "Music For Kings" stammt das orientalische Anleihen nehmende "Priamos" (mit wohl von Drummer Thorsten Harnitz eingespielten Elektronika-Samples) ebenso wie die Shred-Hochburg "Gilgamesh - King Of Uruk" und "Karl The Great", das sich von einem königlichen King Crimson-Riff zu prallem Fusion-Irrsinn steigert. Dabei fiel auf, dass Benjamin wider Erwarten mehr zupft als mit dem (häufig zwischen den bleckenden Zähnen parkenden) Plek spielt. Die Zugabe "Amygdala" war ein abschließendes Prachtbeispiel für das Können der Combo: ein strahlendes Hauptthema mit flirrenden Wechseln zwischen Riffing und Flageolett-Spiel bei der Gitarre, später Tapping galore, ein knorziger Bass-Gegenpart von Sebastian Hoffmann inklusive Soloausflug - und das alles zusammengehalten von verbindlichem und hier geradezu melodiösem Drumming.
Da C-WE die "Backline" der befreundeten Headliner und Heimvorteilinhaber genutzt hatten, brauchte es kaum die angekündigte halbe Stunde Umbaupause, bis 7for4 auf der Bühne standen. Und zunächst ohne Begrüßung einfach mal loslegten. Diese Instrumental-Band ist eigentlich eine Qual für Kritiker. Denn sie klingt, wie das Tollste, was Du überhaupt je gehört hast. Und dann erkläre doch mal bitte schön irgendjemandem, den Du für dieses Konzert interessieren möchtest, warum die nun nicht genauso bekannt, berühmt und reich sind wie John McLaughlin. Oder Weather Report. Oder Steven Wilsons aktuelle Aktivitäten. Oder meinetwegen auch die Chartsbreaker Subsignal.
7for4 bestehen seit 1999. Die Band wurde von Wolfgang Zenk gegründet, bekannt als ehemaliger Gitarrist und Komponist von Sieges Even (vgl. die Kult-Alben "Sophisticated" oder "Uneven"). Er ist Leiter und Dozent des MGI München (nach Eigendarstellung "Deutschlands bekanntestes Institut für professionelle Gitarrenausbildung"). Und diese über 15-jährige Lehrerfahrung am MGI spiegelt sich in seiner Vielseitigkeit wieder: Der Mann kann innerhalb weniger Takte jeweils sehr eindeutig nach Jean-Paul Bourelly, Django Reinhardt, Steve Morse bei den Dixie Dregs, dem jungen Mark Knopfler und dann wieder Eric Johnson klingen. Wohlgemerkt - in einem Song, und ohne, dass dabei irgendetwas gekünstelt oder forciert wirken würde. Ganz im Gegenteil: Vielleicht mit Ausnahme von dem stets etwas besorgt wirkenden Keyboarder Markus Froschmeier haben wir wohl noch nie ein derart entspannt wirkendes Ensemble auf der Bühne gesehen wie 7for4. Und das bei einem Gig ohne Mixer und trotz des teilweise vorgelegten Düsenjägertempos. Wobei Letzteres niemals Selbstzweck zu sein schien.
Zurück zu Wolfgang: Was dieses G3-Gipfeltreffen (normalerweise: S. Vai, J. Satriani + Gast) auf zwei Beinen beispielsweise beim Opener "Spiral Dance" auf die Latin-Beine stellt, könnte Gitarren-Lernende wie den Autoren durchaus in den (künstlerischen) Freitod schicken. Oder aber sie zu eigenen Höchstleistungen anfeuern. Und tatsächlich hatte C-WEs Benjamin zuvor ja per Publikumsbefragung herausbekommen, dass rd. 95 Prozent des Publikums aus Musikern bestand. Und wir wussten zufällig, dass auch tatsächlich Schüler des Meisters anwesend waren. Seine Traumsounds bringt er übrigens auf einer einzigen Gitarre hervor, die Uli Kurtinat gebaut hat. Das Stratocaster-ähnliche Modell bietet zwei Single Coils und einen EMG-Humbucker. Es wird über VHF 4 Amp von Diezel verstärkt (übrigens der dreizehnte, der überhaupt gebaut wurde).
"Indigo Dunes". Ein Lieblingsstück. Erstmals live ansehen zu können, wie derartige klangliche Schönheit überhaupt hervorgebracht werden kann, war und ist schon ein Geschenk. Selbst wenn es hier kleine, unbedeutende Stimmprobleme gegeben haben muss. Sogar drei unveröffentlichte Nummern wurden gegeben, denn 7for4 arbeitet - gewohnt unaufgeregt - an einer neuen CD. Das altbewährte "Rushian" nimmt spontan mit sanften "Violining"-Passagen, aber auch Dramatik durch viele Leerstellen und dem auf der Snare geschlagenen Marschrhythmen von Drum-Sonnyboy Klaus Engl gefangen. Der scheint in Spielfreude, Charme und vor allem Aufmerksamkeit in alle Richtungen einzig Marco Minnemann vergleichbar.
Eine kleine Abkühlung brachte nur ein fies quietschiges, melodisch aber weniger fesselndes Keyboardsolo von Markus F., für dessen Sound auch der anwesende Tastenmann der Augsburger ProgMetal-Institution Dante, Markus Maichel, keinen Kollegenbonus mehr geben mochte. Gut abgefedert wurde der Missklang allerdings durch den zwischenzeitlichen Wechsel von Bassist Markus Grützner auf seinen Ibanez Gary Willis Fretless Bass und dessen anregend pumpenden Sound bei improvisiert klingenden Soli, die der Klasse von Wolfgangs kaum nachstanden. Mit "Silent Flow" kam nun ein weiteres Lieblingslied über uns. Allein schon der Jazzbesen-Shuffle ist hier pure Lust. Genau wie die kaum begreifbar flüssigen Wechsel zwischen Rhythmus- und Solospiel der Gitarre. Viel zu schnell wurde es Zeit für die letzte Nummer ("E-Gyptian": Schnuckenack Reinhardt gone wild) und die Zugabe ("Burnt Chicken Wings": Countrypicking goes Roller-Coaster).
PS: Ein ohnehin schon mehr als gelungener Abend wurde schlicht perfekt durch weitere begünstigende Umstände. So war es etwa hinreißend nett, im Kafe Kult endlich bislang nur virtuell bekannte Münchner Mitglieder der Prog Power Europe-Familie persönlich kennen zu lernen. Oder zu erleben, dass mit Wolfgang ein persönlich in die Klasse eines Jeff Beck eingereihten Ausnahmekünstlers sich nach dem Gig wie selbstverständlich unter die Fans mischte. Ein Sahnehäubchen obendrauf war, dass sich mit mit Jan Zehrfeld, dem Gitarristen und Mastermind von Panzerballett, ein weiterer großer Skalenschützer schlicht, still und bescheiden am Merch-Stand der auftretenden Bands eingefunden hatte, um diesen seinen Respekt zu bekunden.