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Gesehen! Black Sabbath, Soundgarden, Faith No More, Motörhead, Soulfly 04.07.2014, London, Hyde Park
Tag der Legenden
Text/Fotos: Mathias Frank
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Der Hyde Park. Ein riesiges Grün, eine große Idylle mitten in London. Es ist Freitag, viele tausend Menschen tummeln sich bei
bestem Wetter, chillen am Wasser und genießen die Sonne. Bis es um 14.45 Uhr plötzlich heißt: "This Is The Prophecy!" - Max Cavalera
eröffnet mit Soulfly den lautesten Tag der British Summer Time und macht in der kommenden halben Stunde so brachial weiter, wie er angefangen hat.
"Back To The Primitives" und "Tribe" gibt es von der Band selbst, mit "Arise", "Dead Embryonic Cells"
und "Roots Bloody Roots" stammen gleich drei Songs aus Cavaleras Zeit bei Sepultura. Das passt, hier und heute. Es ist der Tag der Legenden.
Die British Summer Time ist eine Reihe von großen, ach was, von riesigen Open Air-Konzerten, ähnlich dem Hamburger Kultursommer.
Doch während in Hamburg Unheilig und Naidoo spielen, sind in London Arcade Fire, Tom Jones, die Libertines, Neil Young
und an diesem Freitag Black Sabbath die Headliner. Außerdem heute am Start eben Soufly sowie Motörhead,
Faith No More und Soundgarden. Ein Tag der Legenden. Mehr geht nicht.
Als zweite Band des Tages sind Motörhead an der Reihe. Und verdammt, was sieht Lemmy scheiße aus. Ehrlich mal, das war
erschreckend. Abgemagert wirkt er, sichtlich geschwächt und einfach alt und krank. Eine Dreiviertelstunde stehen die Herren auf der Bühne, und es liegt nicht nur am nicht ganz so dollen Sound, dass das Ganze nicht die Inbrunst hat, die man von Motörhead kennt. Dabei versucht Lemmy es: er haut den einen oder anderen Spruch raus, aber überlässt sonst seinem Gitarristen Phil Campbell die Show, während er selbst mit Hut im Schatten die dicken Saiten spielt. Aber die Sache mit dem Singen, mit dem Rock N Roll, die klappt einfach nicht mehr so. Weder bei den anfangs eher ruhigeren Liedern wie "Stay Clean" oder "Lost Woman Blues", noch bei späteren Krachern wie "Ace Of Spades" oder "Overkill". Die Lieder sind fantastisch, die Band auch. Aber als Lemmy zwischendurch "Don't Forget Us" sagte, klingt das tatsächlich wie ein Abschied.
Das komplette Gegenteil gibt es danach. Faith No More sind nach zwei Jahren erstmals wieder in Europa und spielen auf diesen zwei Gigs tatsächlich neue Songs. Die ersten neuen Songs seit 1997, die ersten neuen Songs einer der wichtigsten und besten Bands, die die Welt je gesehen hat. Um das Kind mal beim Namen zu nennen. Heute sind sie kein Headliner, heute sind sie eine Vorband. Mike Patton scheint das irgendwie nicht richtig gut zu finden. Seine Laune jedenfalls ist schwer zu deuten. Sind seine Sprüche wie "Your mother sucks cocks in hell", die er im Priester-Outfit zum Besten gibt (und das mehrmals) nun für den Moment komisch oder doch nur albern? Möchte er provozieren, unterhalten oder findet er das einfach brüllend außergewöhnlich? Wir wissen es nicht. Fakt ist, dass er sich ansonsten ordentlich ins Zeug legt, mit seinen Kollegen eine saugute Show spielt und die Leute mit Hits, Hits, Hits, mit "From Out Of Nowhere", Epic" (erste Gänsehaut des Tages), "The Gentle Art Of Making Enemies", "Midlife Crisis" (zweite Gänsehaut des Tages), "Ashes To Ashes" oder "We Care A Lot" und natürlich den beiden neuen, durchaus interessanten Songs zum Austicken bringt. Nur aber, um sie anschließend dazu zu bringen, ein bisschen mit dem Kopf zu schütteln. Denn obwohl die genauen Spielzeiten jeder Band bekannt sind und Faith No More 75 Minuten spielen sollen, gehen sie nach nicht mal einer Stunde von der Bühne. Und sofort drängen auch die ersten Besucher weg vom Geschehen, hin zu Klos und Bierständen. Seltsam. Noch seltsamer, dass Patton und Co. ein paar Zugabenrufer reichen, um zwei weitere Songs zu spielen und anschließend immer noch früher als geplant ihre Show zu beenden. Star-Allüren? Probleme mit dem Stolz?
Zwei Dinge, die man bei Soundgarden nicht findet. Die Grunge-Legende und allen voran Chris Cornell entpuppen sich als obersympathisch und - schlicht und ergreifend - gut. Zum vielleicht letzten Mal zelebrieren sie den 20. Geburtstag ihres "Superunknown"-Meisterwerks, hauen folglich mit betörend schönen Liedern nur so um sich - und haben plötzlich Sound. Denn die ersten drei Bands klangen doch erstaunlich leise, erst bei Soundgarden kommen Lautstärke und Kraft aus den Boxen, was Liedern wie "Let Me Drown", "My Wave", "Fell On Black Days" (dritte Gänsehaut des Tages), "Black Hole Sun", "Spoonman", "The Day I Tried To Live" - und wie sie alle heißen - natürlich äußerst gut zu Gesicht steht. Jemand äußerst Prominentes gesellt sich übrigens zum Song "Superunknown" auf die Bühne: Mike McCready von Pearl Jam macht mit. Ist ja auch der Tag der Legenden.
Die größte Legende macht den Headliner und das vielleicht zum letzten Mal. Tony Iommi ist bekanntlich an Lymphdrüsenkrebs erkrankt, in einem Interview sagte er: "It could be the last ever Sabbath show. I don't want it to be, but there's nothing really planned touring-wise after that show, so for all we know that could be it really. To be honest I don't want to be touring to this extent too much longer, because it makes me feel so bad." Es wäre eine Schande und das in doppelter Hinsicht. Denn erstens würde das bedeuten, dass es dem Gitarristen nicht gut geht - und das wäre das Schlimmste. Und zweitens sind Black Sabbath noch immer viel zu gut, um Schluss zu machen. Denn ja, sie sind gut, sie sind sogar super und an diesem Abend, in England, vor 50.000 Jüngern sind sie fantastisch. Natürlich ist Ozzy irgendwie durch, aber im Gegensatz zu Lemmy verrückt statt krank. Euphorisch hüpft er an sein Mikro geklammert auf und ab, feixend gibt er Vogellaute von sich (ein "Kuckuck" von Ozzy bei sonst totaler Stille im Hyde Park, wenn das nicht großartig ist!), bei bester Stimme haut er Klassiker um Klassiker raus.
Mit "War Pigs" geht es los (vierte Gänsehaut des Tages), es folgt ein buntes Programm mit ein paar neuen Sachen wie "Age Of Reason" oder "God Is Dead" und Klassikern wie "Into The Void", "Black Sabbath" (Wahnsinn!), "Iron Man" oder natürlich "Paranoid" zum Schluss. Und das alles untermalt von beeindruckenden Bildern auf der beeindruckenden Bühne. Gespielt von einer beeindruckend guten Band und der größten lebenden Legende. Des heutigen Tages und vielleicht auch der Welt.