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Man merkte es irgendwie schon vor Konzertbeginn: Das wird ein besonderer Abend, knappe fünf Wochen nach der
plötzlichen Bekanntgabe der Bandauflösung, und es wird voll. 1200 waren da, schreibt die Lokalzeitung
später. Ausverkauft. Selbstverständlich. Es war das letzte Boysetsfire-Konzert in Deutschland. Vor der
angeleuchteten Centralstation lagern die Band-T-Shirts mit den Fans drin - schnell das letzte Bier kippen und
dann einen Platz in der ersten Reihe sichern!
Boysetsfire @ Darmstadt
Andere setzen darauf, sich während des ersten Songs nach vorne durchpogen zu können. Der Pizza Hut
nebenan improvisiert Coffee to go in Pepsi-Bechern. Im Parkhaus, das direkt unter dem Platz liegt, fahren
Kleinwagen ein, aus denen die Musik der Legende dröhnt, die man heute hier zum letzten Mal sehen wird.
Das ist schon was zum Erzählen, in späteren Jahren im Hardcore-Heim und vor den Emo-Enkeln. Aber
zunächst mal müssen Flyswatter die Aufwärmrunde übernehmen. Die Band aus München
ist nicht zum ersten Mal Support für Boysetsfire, sie kennen sich gut. Das wird man spätestens
merken, wenn gegen Ende des Abends Flyswatter-Gitarristen auf die Bühne kommen und mitspielen.
Die Menge im Saal tobt nicht gerade, aber die Reaktionen sind freundlich. Es geht eben nur um die eine
Band heute. Die Umbaupause ist kurz (oder kommt einem so vor) und der Jubel laut, als das Intro von
"Walk Astray" beginnt. Danach gleich "Release The Dogs", und spätestens jetzt
kracht es im Moshpit und hört nicht mehr auf bis zum letzten Song. Nach Minuten sind die Fans vor
der Bühne glücklich und nass geschwitzt. Am Rand kann man trotzdem gut stehen und sehen, die
Centralstation ist breit genug. "My Life In The Knife Trade" ist ein früher Höhepunkt,
die Arme hoch und die Texte mitgesungen, hier gibt es keine Nieten, jedes Los ein Gewinn. Crowdsurfer sieht
dieser Abend, Stagediving allerdings nicht, denn im Gegensatz zu anderen Hallen auf Tour gibt es hier
einen recht breiten Graben zwischen Bühne und erster Reihe. Da ist nichts mit Raufklettern. Sowas
wirkt seltsam bei einer nahbaren Band wie Boysetsfire, deren Sänger Nathan wenige Tage zuvor in
Leipzig noch selbst ins Publikum tauchte. Wie auch insgesamt das Ambiente etwas zu steril ist:
die sanierte Centralstation zwischen Buchkaufhaus und Fastfoodgastronom. Hier tropft kein Schweiß
von der Decke, hier hängt keine Traverse schief.
Egal - so ist wenigstens Platz für den Pogo. Die sentimentalen Momente sind selten, Boysetsfire machen
kein großes Tränenfass auf. Ein, zwei ehrliche Dankeschöns an das Publikum, das die Band so
lange begleitet hat, ansonsten wird gebrettert. Als Nathan den Ersatzgitarristen vorstellt, einen Roadie, der
für den schwer verunglückten Josh Latshaw eingesprungen ist, gilt der Applaus beiden. Wie furchtbar,
auf den letzten Konzerten nicht dabei sein zu können. Ein kurzes Akustikset unterteilt das Konzert. Erholung
oder wenigstens Abwechslung für die wunden Stimmbänder. Mehr noch als sonst bemerkt man, wie Nathan
singen kann. Steht da vielleicht eine Solokarriere bevor, eher songwriterisch ausgelegt, wie sie schon der ein
oder andere ehemals Schreiende beschreitet? Das Schlechteste wäre es nicht.
"Rookie" ist nach knapp eineinhalb Stunden gefeiertes vorletztes Lied, dann kommt der Abschluss schlechthin,
das Muss-letzte-Lied für das letzte Deutschlandkonzert dieser Band. "After The Eulogy" natürlich,
und das Ziel, den Abschied vor Augen werden nochmal alle Nacken versteift, alle Ellbogen angewinkelt, alle Kehlen
strapaziert. Rise. Rise. Rise. Danke. Und dann schmerzlos Musik vom Band: "Crazy" von Gnarls Barkley,
Licht, nasse Menschen, Türen auf und wieder atmen. Schön war's.