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Getroffen! Interview mit Brett Hunt (Oktober 2012) - Präsentiert von POP FRONTAL
"Auf der Bühne ist praktisch alles möglich"
Interview: Klaus Reckert Live-Fotos: Guido Müllerke (Klangbild Photographie)
Brett Hunts Stimme klingt, als ob man sie schon immer gekannt hätte. Der australische Künstler spielt im Schnitt 300 Konzerte im Jahr, und dies fast immer solo. Das geht vom Privat-Auftritt über Pub-Gigs bis hin zum Festival und schließt ein beträchtlichesTheater-Engagement ein. Seine "Corrugated Road" (Albumtitel 2009) führte im Juni 2012 zum sogar noch schöneren Folge-Album "Rachel". Das und die hiesigen Live-Termine im November/Dezember - präsentiert von POP FRONTAL - nahmen wir zum Anlass für ein Verhör...
Im direkten Vergleich mit dem Vorgängeralbum erlebt man "Rachel" als weniger "poliert", speziell was den Gesang angeht. Die neuen Songs haben teilweise mehr den Charakter eines (sehr guten) Live-Takes, während beispielsweise eine Aufnahme wie "Wonderment" ein völlig ausproduziertes Werk ist - nachvollziehbar?
Brett Hunt: Nachvollziehbar. Da waren zum einen die Fans selbst, die sich gewünscht haben, dass der Albumsound näher an den rückt, den ich auch live habe. Und ich trete ja nun mal fast ausschließlich live auf. Ich selbst tendiere mehr dazu, Studioarbeit als eine Kunst für sich zu sehen - als einen Prozess, der zeigt, welches Potenzial überhaupt aus einem Song herauszukitzeln ist. Für "Rachel" habe ich versucht, einen Mittelweg zwischen beiden Ansätzen zu finden. Das Album wurde tatsächlich live und in so wenigen Takes wie möglich aufgenommen. Die Aufnahmen fanden meist abends an Tagen statt, wo ich zuvor schon dreimal mit dem Theater aufgetreten war. Insofern war meine Stimme auch einfach arg strapaziert. Was Du hörst, ist also auch der Versuch, mit dieser Strapaziertheit umzugehen.
Rückblickend ging es wohl um die Kombination von zu vielen Shows und einem Magenproblem (begünstigt durch das Nachtleben eines Live-Künstlers, durch zu viel gutes deutsches Bier etc.), das die Stimme belastet hat. Ich kam an einem Punkt, wo ich paranoide Angst hatte, die Qualität meines Gesangs zu verlieren. Dann hat mich aber mein wunderbarer Toningenieur beruhigt. Er erinnerte mich daran, dass ein paar meiner Lieblingssongs und -alben von Künstlern stammen, deren Stimmen sich ebenfalls verändert haben. Also zum Beispiel Bob Dylans "Lay Lady Lay" oder David Crosbys "If I Could Only Remember My Name". Also konnte ich "Rachel" doch mit einem guten Gefühl veröffentlichen - und bislang waren die Rückmeldungen fantastisch!
"Bleed Red" scheint ein gewisses Maß an Gesellschaftskritik zu transportieren?
Brett Hunt: Die Inspiration zu diesem Stück geht auf eine alte Freundschaft zurück. In Australien gibt es die "Reconciliation"-Bewegung, die versucht, die Ureinwohner für wenigstens etwas von dem Unrecht zu entschädigen, das an ihnen begangen wurde. Ich selbst fand, dass die Bewegung insofern noch nicht weit genug geht, als viele von diesen Ungerechtigkeiten bis heute stattfinden. Das Lied ist insofern ganz persönlich: ich erinnere mich an einen Freund aus Kindertagen, der ein Aboriginee ist. Er hat außerordentliche Fähigkeiten und Potentiale. Aber nur aufgrund seiner Abstammung hatte er nie die gleichen Möglichkeiten wie beispielsweise ich. Für die Ureinwohner ist es ein langer harter Kampf um Gerechtigkeit. Aber nicht nur in Australien...
Wessen Stimme hört man in "Rose Of No-Man's Land"?
Brett Hunt: In dem Song geht es um den ersten Weltkrieg und um die Rolle, die Krankenschwestern in dieser grauenhaften Zeit gespielt haben. Ich hatte daheim geübt als mein sechsjähriger Sohn mir dieses auch auf dem Album enthaltene Lied vorgesungen hat. Ich hab ihn gefragt, ob er das im Studio nochmal tun würde. Er wollte, und es hat im ersten Take gesessen!
Welche Stimmungen verwendest Du?
Brett Hunt: Open G, D, Drop D, D minor und DADGAD. Die liebe ich...
Als ich "Sat In The Dark" gehört habe, fiel mir zum ersten Mal auf, was für ein guter Gitarrist Du bist. Also Du gibst ja nie mit "Shredding" an, aber dieser Song scheint doch sehr viel mehr zu zeigen als andere?
Brett Hunt: Tatsächlich glaube ich fest daran, dass der Song Vorrang vor dem Spieler hat. Wenn der Song eine Rolle für ernsthaftes Gitarrenspiel bietet - super! Wenn nicht, auch OK. Und "Sat In The Dark" schien mir nach einem Slide-Solo zu schreien. Ich bin ein Fan der großen Slide-Gitarristen von Son House bis Ry Cooder. Irgendwann hatte ich mir eine alte Regal Resonator-Gitarre gekauft. Aber zum Zeitpunkt der Aufnahmen hätte die dringend eine Wartung gebraucht. All die kleinen Verzerrungen, das Poltern und Klappern, das Du hörst, wird vom Schalltrichter verursacht, der nicht hundertprozentig im Resonator sitzt. Den Klang fand ich irgendwie rau, aber auch cool - und so blieb es auf dem Album.
Du kannst erwiesenermaßen jeden Deiner Songs live ganz alleine reproduzieren. Hattest Du auch Erfahrungen mit Bands? Träumst Du manchmal davon, Deine Songs im "großen Format" zu hören? In elektrifizierten Versionen vielleicht?
Brett Hunt: Ich hab das Musikmachen ja in Bands angefangen und habe es sehr geliebt: Dadurch ergeben sich andere Möglichkeiten für die Songs, es hat aber auch etwas mit der Kameradschaft zu tun, die sich durch gemeinsames Musizieren ergeben kann. Auf der anderen Seite bringen Soloauftritte totale Freiheit mit sich. Die Vorstellung, dass auf der Bühne praktisch alles möglich ist, weil ich es mit niemandem abstimmen muss, ist fast unwiderstehlich. Ansonsten: Lustig, dass Du fragst - ich hab mir grad die erste E-Gitarre und passenden Amp meines Lebens gekauft, wer weiß, was geschieht?
Gibt es Musiker, mit denen Du immer mal zocken wolltest?
Brett Hunt: Das sind zu viele, um sie alle aufzuzählen... Aber ich denke oft an Produzenten, mit denen ich gerne arbeiten würde. Ethan Johns zum Beispiel, der für seine Arbeit für Ryan Adams und Ray La Montagne zurecht gerühmt wird. Der wäre mein Traum-Producer.
Auf wie viele Gigs pro Jahr kommst Du?
Brett Hunt: Über 300, einschließlich Theater-Auftritte. Ich betreibe auch noch ein sogenanntes "Theatre in education" in Australien. Das Projekt ist eine große Leidenschaft von mir.
Wer bucht all diese Auftritte?
Brett Hunt: Mein deutsches Label Tonetoaster. Mit denen hab ich wirklich großes Glück, denn die Leute dort kümmern sich um alle Details von Auftritten und Veröffentlichungen. Beim heutigen Zustand der Branche sind verlässliche Partner und Freunde bei einem vielleicht etwas kleineren Label weitaus wichtiger als "Big Names" und Hochhäuser! Ich bin sehr optimistisch für unsere gemeinsame Zukunft, gerade hier in Europa.
Ich habe mitbekommen, dass Du manchmal sogar auf privaten Feiern auftrittst!
Brett Hunt: Stimmt genau. Die Idee dazu kam jeweils von den Fans. Aber ich liebe diese Shows aufgrund ihrer freundlichen, intimen Atmosphäre. Ich kann nur sagen: Es kostet nicht viel, jeder der interessiert ist, kann sich gern an Michael bei Tonetoaster Records wenden.
Im Juli hättest du beim Jazz Festival in Düren/NRW spielen sollen. Aber irgendetwas ging schief, Tonetoaster musste Ersatz besorgen. Schließlich hast Du einen Auftritt in München gemacht. Was war da los?
Brett Hunt: Es hatte eine Doppelbuchung gegeben, die unglücklicher- und überraschenderweise in der Absage meines Auftritts resultierte. Dem Promoter des Festivals tut die Sache sehr leid und hat versprochen, dass er mich für die nächsten Jahre buchen will. So etwas passiert von Zeit zu Zeit, gottlob selten.