Es begab sich zu jener merkwürdigen Zeit, die
mehr und mehr von iPods und Handyklingelton-Hitparaden beherrscht
wurde, dass alljährlich an den heißen Tagen und Nächten
des Juli eine nicht enden wollende bunte Karawane zum Fuße des
"heiligen" Herzbergs nach Osthessen pilgerte, um dort das
freie Leben und sich selbst zu feiern sowie die zahlreich
erschienenen "Götter der Musik" zu lobpreisen. Und
es war eine besondere Zeit, die kaum jemand aus dem großen Volk
der Angereisten missen wollte.
Orange / Rainer von Vielen
Und weil sich die
einzigartige Magie dieses Festivals in unserem Lande herum gesprochen
hatte, kamen in diesem Jahr in die idyllische Wald- und
Wiesenlandschaft unterhalb der Burg Herzberg mit ca. 9000 Abgesandten
aus dem schillernden Volk der Alt- und Junghippies noch mehr Besucher
ins "land of milk and honey" als in den vielen Jahren
zuvor. Dabei brachten sie viele kuriose Erscheinungen mit nach
"FreakCity", wie etwa eine große Sofazeltlandschaft
mit erlesenen Getränken unter dem Namen "Bar aller Sinne",
die wichtige "Astrologische Notberatung" vor Ort, den
riesigen Massage-Swimmingpool und auch das unwiderstehliche Angebot
von "euterfrischer Ziegenmilch zum Bio-Schonkaffee".y
Auch musikalisch
präsentierte sich mit über 30 Bands auf zwei Bühnen
wieder ein erlesenes Potpourie alternativer Multikultimusik. Auf der
kleineren Bühne "Freakstage" kamen eher innovative
Newcomer-Bands zum Zuge, von denen sicher einige künftig auch in
größerem Rahmen zu hören sein werden. Überzeugen
konnten hier besonders die Progrocker Treacle People aus
Mannheim, die Elektronik-Psychedeliker Zone Six und die
Rumänen NU mit ihren gefühlvollen
Worldmusic-Soundteppichen.
Bereits am ersten Abend zelebrierten auf der Hauptbühne Space Debris exzellente
Livemusik mit spontanen Improvisationen. Ein Highlight des Folgetages
war sicher die reformierte Symphonicrock-Band Hölderlin.
Konnten sie schon im vergangenen WDR-Krautrockpalast (POP FRONTAL
berichtete) voll überzeugen, gelang ihnen auch unter freiem
Himmel eine wunderbare Symbiose aus alten und brandaktuellen Songs.
Die Stimme von Sängerin Ann-Yü hob in der einfühlsamen
Rockballade "You"in geradezu himmlische Sphären
ab und sorgte damitbei vielen Fansfür wohlige
Rückenschauer am heißen Nachmittag. Übrigens arbeiten
Hölderlin, genau wie die mit einem routinierten Set auf dem
Festival nachfolgenden Jazzrock-Urgesteine Kraan, gerade an
einem neuen Album.
Innovativer und teils überaus origineller Gitarrensound von Adrian Below, sonst
der Gitarren-Counterpart von Robert Fripp bei King Crimson, bewegte
zur abendlichen Primetime die Massen vor der Bühne. Natürlich
durfte dabei auch der etwas modifizierte Klassiker "21st
Century Schizoid Man" nicht fehlen. Für eine farbenfrohe
Tanzparty zur Nachtzeit waren danach zunächst Berimbrown aus
Brasilien mit ihren schweißtreibenden Samba-Funk-HipHop-Rhythmen verantwortlich, um später die Bühne
"Groovemaker" Mani Neumeier und seiner Combo Psychedelic
Monsterjam zu überlassen. Untermalt von einer einzigartigen
spacigen Lightshow räumte das Trio mit psychedelischem
Trancesound bis nach 3 Uhr früh mächtig ab.
Routinierte Auftritte boten am Samstag zunächst Ex-Scorpion Uli Jon Roth mit
seiner selbst entwickelten Sky Guitar und anschließend die
Altrocker Wishbone Ash. Ein profihaftes Comeback auf höchstem
Niveau zelebrierten am Abend, trotz Magengrippe ihres sonst sehr
vitalen Frontmannes Phil Mogg, die Heavyrock-Veteranen UFO. Mit
ihrem engagierten Herzberg-Gig zeigten UFO unmissverständlich,
dass diese Band nach wie vor zur 1. Liga des Genres gehört. Zu
absoluten Abräumern in der Geisterstunde entpuppten sich
schließlich The Gathering aus Holland. Sie zelebrierten
in ihrem Gig melodiöse Pop-Balladen in verschiedensten Facetten,
getragen von warmen, dunklen und erfrischenden Soundelementen mit
einem Tupfer Gotik. Über allem schwebte die glasklare, erhabene
Stimme von Sängerin Anneke van Giersbergen. Als einzige Band
verbaten sie sich allerdings während ihres Gigs Aufnahmen durch
Pressefotografen.
Passend in tiefer
Nacht folgte dann mit den finnischen Spacetüftlern Hidria
Spacefolk eine Band, die mit High-Energy-Psychedelicsound und
zugehöriger abgedrehter Videoperformance das Festivalgelände
sowohl akustisch als auch visuell in ein kosmisches Raumschiff
verwandelte.
Mächtig Staub bei
den verzückt ausflippenden Fans vor der Bühne wirbelte am
Sonntag die Goa-Tranceband Orange aus dem Allgäu auf.
Meist mit nackten, geschminkten Oberkörpern boten sie einen
wilden, hypnotischen Trance-Beat-Soundcocktail, gemixt mit
Didgeridoo-, Percussion-, Querflötenklängen und den
genialen Oberton-Kehlkopfgesängen von Frontmann Rainer von
Vielen. Der hatte mit seinen einprägenden Texten wie "Nichts,
was ihr seht, ist von Bestand, nichts was ihr habt, habt ihr in der
Hand!" sofort alle Tänzer im Publikum auf seiner Seite.
Als Highlight zum Abschluss wurde schließlich eine einmalige
"EuropeanBluespowersession" geboten, die es in sich
hatte. Extra für dieses zweistündige Event fanden sich die
Herzberg Blues Allstars zusammen: eine gelungene Mixtur von
zwölf europäischen Bluesgrößen, u.a. mit
Ex-Cream-Texter Pete Brown, Alex Conti (Altlantis) und Mike Harrison
(Spooky Tooth), geführt von Leadsänger Chris Farlowe
(Collosseum). Blues "at his best" also, ein toller
Abschluss eines außergewöhnlichen Festivals, zu dem sich
sicher die meisten anwesenden "Pilger" auch im nächsten
Jahr wieder in die große bunte Karawane der
"FreakCity"-Besucher einreihen werden.