Ein echter Fan nehme sich eine Woche Urlaub, reichlich Proviant für alle Lebenslagen, ein altes Vehikel oder den Daumen - und ab geht die Pilgerfahrt nach "FreakCity", dem ewigen Sommer-Mekka der alternativen Szene. "Come together" heißt passend dazu das Motto des diesjährigen Herzberg-Festivals unterhalb der Burg in Breitenbach nahe Fulda. Da will natürlich keiner fehlen, denn nicht nur das Musikprogramm verspricht ein heißes Wochenende.
Gong
Warm und heiter mit vereinzelten Schauern lautet die Wetterprognose für das größte Hippie-Event hierzulande. Nun, für Wärme und Heiterkeit ist bestens gesorgt, denn neben viel tanzbarer Live-Musik gibt es reichlich bunte Verkaufsstände mit allerlei Erwärmendem für Geist und Körper. Sogar Bio-Guarana-Wein und die in der Szene bewährten Energiekugeln sind dabei. Anders sieht es mit dem wechselhaften Wetter aus: wer jedoch eine gute Sonnencreme und Matsch-Gummistiefel im Gepäck hat, ist gut beraten.
Ein erstes musikalisches Ausrufezeichen setzt am Donnerstagabend der kanadische Bluesrocker Joe Bonamassa auf der Hauptbühne. Geradlinige, kernige Bluesläufe und stets gute Laune, die ansteckend wirkt, laden zum Mitschwingen in der warmen Abendsonne ein. Zeitgleich wettert Liedermacher Götz Widmann mit scharfsinnigen Pointen und hohem Unterhaltungswert vor großem Publikum auf der Freak Stage gegen alles, was einem schönen, relaxten Leben hierzulande im Wege steht.
Am Freitag eröffnet Woodstock-Gitarrist Miller Anderson den musikalischen Reigen. Bei Bands wie Savoy Brown, Mott The Hoople, T. Rex, Donovan oder Yes spielte er als Gast- und Tourmusiker schon früh mit den Großen aus dem Rock- und Bluesspektrum. Ihm folgt am Abend der legendäre Byrds-Frontmann Roger McGuinn. Seine sanften Byrds-Klassiker und weitere Folkrock-Perlen erinnern an American Folk-Größen wie Bob Dylan und Pete Seeger.
Über 250 Millionen Alben haben Bob Marley & the Wailers weltweit verkauft. Da der Meister selbst bekanntermaßen seit 1981 in einer anderen Welt unabkömmlich ist, begeben sich The Original Wailers seither mit alten und neuen starken Roots Reggae-Songs allein auf die Bühnen der Welt. Und die besondere Magie der legendären Bob Marley-Songs ist auch heute bei den Wailers noch spürbar. Diese Energie lässt nicht nur die vielen Dreadlocks-Fans auf der Herzbergwiese trotz starkem Dauerregen verzückt lauschen, mitsingen und wild tanzen. "Heute Abend ist, als wenn Himmel in Erde kommt", kommentiert ein französicher Reggae-Fan passend dieses bewegende Konzert in strömendem Regen.
Rechtzeitig zum 40. Bühnenjubiläum entert am Abend zur Festival-Primetime die Canterbury-Kultband Gong in Bestbesetzung die Bühne. Ein Auftritt, der bereits im Vorfeld mit großer Spannung erwartet wurde, denn von der quirligen 70er-Jahre Musiklegende um Gründer David Allen hat man hierzulande viele Jahre nichts gesehen oder gehört. Und Gong, mit Ausnahmegitarrist Steve Hillage, Hippie-Idol Gilli Smyth und Keyboarderin Miquette Giraudy auf der Bühne, legen trotz starkem Wind und Regenwetter eine Show hin, die keinerlei Fanwünsche offen lässt. Für viele auf der Wiese ist es sehr bewegend, alte geliebte Perlen vom "Flying Teapot"- und "Camembert Electrique"-Album oder die "Solar Musick Suite" (von Steve Hillage persönlich mit kosmischen Riffs gespielt) noch einmal voller Witz und großer Spielfreude live zu erleben. Das Mutterschiff Gong ist aus den tiefen des Alls selbst bei schwerem Wetter optimal gelandet, und seine lang vermisste Besatzung ist zur großen Freude aller nur äußerlich in die Jahre gekommen!
In tiefster Nacht und bei endlich wieder klarem Sternenhimmel lädt Progrock-Newcomerin Rose Kemp zu heißem Tanz und sentimentalen Tönen unter dem Herzberg ein. Brachiale Gitarrenriffs im Wechsel mit intimen Folksongs sorgen für prickelndes Gänsehautfeeling bei ihrer großen Fanbase. Im Gegensatz zu ihrem Rockpalast-Konzert im letzten Herbst (POP FRONTAL berichtete), hat sie bei ihrem Open-Air-Gig diesmal einen Keyboarder mit an Bord, welcher den teils ultraharten, an Black Sabbath erinnernden Riffs eine wohltuende Ruhe einverleibt. Dennoch hat man spätestens bei ihrem genial-düsteren Kultsong "The Unholy" das beklemmende Gefühl, die Sonne könnte nie mehr aufgehen - und wenn man Rose Kemps Musik lauscht, wäre das auch gar nicht so tragisch. Mit Sicherheit hat diese junge Songwriterin noch eine große Zukunft!
Dass magische Songs auch nach 30 Jahren nichts von ihrer Ausstrahlung verloren haben, beweisen am frühen Samstagabend Mother’s Finest auf der Hauptbühne. Seit ihrem Rockpalast-Kultauftritt von 1978 und ihrem Megahit "Baby Love" ist die Band mit ihrem berauschenden Songgebräu aus Rock, Hardfunk und Jazz auch hierzulande eine gern gesehene Livegröße. Der brodelnde Soundmix des Sextetts um Sängerin Joyce Kennedy hat live noch immer diesen einzigartigen Sog, welcher zwingend auch die Tanzbeine in Bewegung setzt.
Ein weiteres Kultphänomen und seit fast einem halben Jahrhundert eine der bekanntesten Stimmen in der Bluesrocklandschaft ist zweifelsohne Energiebündel Eric Burdon And The Animals. Am Abend heizt der bestens gelaunte Altrocker mit seiner Truppe gut 6000 Fans vor der Bühne mächtig ein. Voller Saft und Kraft präsentieren sie in ihrem Gig Evergreens wie "When I Was Young", "Don’t Let Me Be Misunderstood", tauchen in frühe "San Franciscan Nights" ab und erwecken das "House Of the Rising Sun" zu neuem Leben, genau zur goldroten Sonnenuntergangszeit.
Einen schweren Stand hat anschließend Slide-Gitarrist Derek Trucks & Band. Wie ein wasserarmer Bach im Sommer plätschert sein Stilmix aus Blues, Funk und Southernrock vor sich hin. Hierzulande ist das Gitarrentalent eher bekannt als Mitglied der legendären Allman Brothers, als mit seiner eigener Truppe. Nach mäßigem Abschiedsapplaus verzichtet Derek Trucks am Ende klugerweise sogar auf die meist obligatorische Zugabe.
Auf seiner seit knapp 20 Jahren andauernden Mission gegen soziale Ungerechtigkeiten, Krieg und Rassismus landet in später Nacht der Südafrikaner Robbi Robb mit seiner Band Tribe After Tribe auf der Herzberg-Bühne. Hypnotisch groovender Heavy-Rock mit emotional starken afrikanischen Folkelementen, sattem Gitarrensound und anklagenden Songtexten ist das Markenzeichen des leider viel zu wenig beachteten Underground-Juwels. Tribe After Tribe machen Musik, die Hirn, Herz und Beine gleichermaßen bewegt.
Der Sonntag bringt Sonne und Regen im Wechsel, auch in musikalischer Hinsicht. Sonnig-luftig präsentiert sich die Schweizer Formation Famara mit World-Beat-Reggae pur. Energiegeladen und wild bringen sie das Publikum bei schönstem Nachmittagswetter in Ekstasetänze. Dies kann man von den biederen Monsters of Liedermaching absolut nicht behaupten. Leider eine Fehlbesetzung für dieses Festival, die viele Besucher eher gelangweilt zu den vielen exotischen Gaumenfreuden-Ständen wandern lässt.
Das traditionelle Highlight zum Festivalausklang sind natürlich wieder die Herzberg Blues Allstars. Die Stammbesetzung dieser jährlich rotierenden Truppe bildet wie stets die Hamburg Blues Band um Alex Conti und Chris Lange, plus Gitarrenmaestro Clem Clempson und die unverwüstliche Rockröhre Chris Farlowe, bereichert diesmal um den skurrilen "God of Fire" Arthur Brown sowie Bad Company-Gitarrist Geoff Whitehorn und den Chickenshack-Bluesplayer Stan Webb. Gut zwei Stunden Bluesrock vom Feinsten lassen die riesige Menge vor der Bühne begeistert mitschwingen und gegen Mitternacht auch ein wenig wehmütig die oft lange Heimreise antreten. Denn leider ist das einzigartige Herzberg-Festivalfeeling schon wieder Vergangenheit - und fast unerträglich lang scheint die Zeit bis zur Rückkehr nach "Freak-City" im Juli 2010!