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Gesehen! Cat Power & The Memphis Rhythm Band / 06.11.2006, Berlin, Volksbühne
The Greatest
Text / Live-Foto: Sandra Kriebitzsch
Eine echte Sensation war es, als verkündet wurde, dass Cat Power zusammen mit der Memphis Rhythm Band
nun doch zu uns kommen würde. Denn nur wenige Live-Konzerte gab es bislang mit den Soul-Größen, mit denen
sie ihr aktuelles Album "The Greatest" aufgenommen hatte. Auf ihm zeigte sich Chan Marshall erstmals
von einer anderen, weniger verstörend berührenden, aber ebenfalls großartigen Seite. Mit der Berliner
Volksbühne wurde eine dem Ereignis angemessene Lokalität für das einzige Deutschland-Konzert
ausgewählt, die selbstverständlich restlos ausverkauft war.
Zunächst kam die 11-köpfige Band alleine auf die Bühne und stellte sich im Eröffnungsstück
ausgiebig vor: Teenie Hodges an der Gitarre, Rick Steff am Piano, zwei Bläser, der Bassist, die beiden
Background-Sängerinnnen, der Schlagzeuger und die dreiköpfige Streichersektion - jeder erhielt
seinen eigenen kleinen Solo-Part. Und dann endlich kam sie. Chan Marshall stakste mit langen Storchschritten
unter tosendem Beifall auf die Bühne, die Haare im Gesicht hängend, im typischen Jeans-Outfit und
Stiefeletten, eine Zigarette in der einen, eine Teetasse in der anderen Hand. Es blieb kaum Zeit sich zu
fragen, wie sich nun dieses merkwürdige junge Ding mit diesen gestandenen Musikern arrangieren würde,
als schon das Album-Titelstück "The Greatest" intoniert wurde und Cat Power uns mit dem ersten
Hauch ihrer Stimme orkanartig in die Sitze presste.
Und wie sie harmonierten. Die Band spielte ihr die Bälle so passgenau zu, dass Chan Marshall in einer
Form von Lässigkeit über das Spielfeld Bühne schweben konnte, wie sie zu alten Cat Power-Zeiten
nicht vorstellbar gewesen wäre. Wie ein Schmetterling wirkte sie, der endlich den lästigen Kokon
abgestreift hatte. Misery is a butterfly. So flatterte sie mit seltsamen pantomimischen Figuren über die
Bühne und wuchs und wuchs. Mit jedem Ton und jedem Lächeln, das die Musiker ihr zuwarfen. Rick Steff
hing ihr an den Lippen, während er die Tasten schlug, die beiden Background-Damen Queen Ann Hines und
Susan Marshall unterstrichen unaufdringlich pointiert den Cat Powerschen Gesang, und Teenie Hodges lachte
stets in ihre Richtung, wenn er mit einem treffenden Gitarrenakkord die zarten Hymnen der jungen Göttin
untermalte. Nahezu das gesamte Album "The Greatest" wurde vorgetragen. Zwischen dem
Überwältigtsein von dieser neuen Dimension Cat Power und der Gewahrwerdung dessen, auf einem der
besten Konzerte des Lebens zu sein, kullerten immer wieder Tränen aus den Augen. Gut, dass Chan Marshall
ab und an eine lustige Einlage parat hatte, sonst wäre es richtig salzig feucht unter den Sitzen geworden.
So zeigte sich, dass jemand auch Hürden überspringen und zur Höchstform auflaufen kann, wenn er ein
schweres Kreuz zu tragen hat. Wenn es das brauchte, um dem persönlichen Elend Herr zu werden, dann lassen
wir gerne die "alte" Chan Marshall ziehen. Aber auch sie sollten wir noch einmal, zumindest
andeutungsweise, erleben. Nachdem sie die Bühne kurz der Band überlassen hat, kommt sie zu einem
Solo-Auftritt zurück. Der Atem stockt, als sie sich allein ans Piano setzt und leise Anflüge ihrer
alten Unsicherheit aufkommen. Sie windet sich auf dem Stuhl, greift zur Teetasse, bindet ihre Haare zum Zopf,
zieht ihre Jacke aus, später wieder an. Redet in Halbsätzen, setzt an zum Singen, hört wieder
auf und verkündet: "Sorry, my voice is shaking". Aber sie fängt sich stets und trägt
einige alte Stücke vor, und auch dieser eine Song, den sie ja stets vermassele, gelingt prächtig. Dabei
sind auch Coverversionen von "House Of The Rising Sun" und "Hit The Road Jack" - Songs, die
man nach jahrzehntelangem Durchnudeln am Lagerfeuer von Pfadfindern und Althippies nicht mehr hören kann,
hier aber zu einer ganz neuen Blüte reifen.
Als sie zur Gitarre greift, verkündet sie mit sonorer Stimme "Hi, I'm Johnny Cash". Lachen. Sie
hat das Publikum im Griff. Auch wenn die Dame, der sie später eine Zigarette anbietet, dann doch lieber
nicht auf die Bühne kommt. Am Ende spielt sie noch einmal zusammen mit der Band, ein Medley ihres Hits
"Nude as The News" und "Satisfaction" von den Stones, das sich auf "The Covers Record"
findet. Der Auftritt mündet in einem Gospel, zu dem alle Musiker an den Bühnenrand kommen, gefolgt von
stehenden Ovationen des Publikums. Von Queen Ann Hines angeheizt, treibt der Beifall Chan Marshall noch ein
letztes Mal ans Klavier. Der Applaus will danach nicht verebben. Cat Power winkt, bedankt sich, drückt sich
noch lange am hinteren Bühnenrand herum und genießt. Sie hat es verdient. Denn sie ist eine der
ganz Großen ihrer Zeit. Some cats are bigger than others. The Greatest.