Festivals - man muss sie lieben oder verabscheuen.
Letzteres fällt leicht: Es ist immer zu voll. Das Bier ist immer
zu teuer und schmeckt wie modrige Füße. Andauernd wird man
belästigt. Von Mücken, lauten Menschen und Bands, die einen
nicht die Bohne interessieren. Schlimm: Die "Klos"
entsagen jeder Beschreibung. Schlimmer: Die tätowierten Typen im
Nachbarzelt können ohne Schlaf existieren. Festivals machen
einen fertig. Und doch, es gibt Ausnahmen. So wie das Dockville
Festival, das jetzt Premiere feierte. Im Hamburger Stadtteil
Wilhelmsburg, keiner coolen Gegend. Mit nur wenigen großen
Namen im Lineup. Dafür mit skurrilen Kunstaktionen. An nur zwei
Tagen – die reich an guten Momenten waren.
2raumwohnung
Die
Kurzfassung für alle Ungeduldigen: Turbostaat und The
Whitest Boy Alive waren die Bands des Festivals. Man muss sich
das nochmal auf der Zunge zergehen lassen: Erlend Oye (Kings of
Convenience), der harmloseste aller Indie-Nerds mit seinen
zurückhaltenden durchgejazzten Electro-Dance-Songs, und die
lauten Punkrocker Turbostaat, deren Sänger Jan Windmeier Sachen
wie "Fuck Winter / so'n Scheiß" ins Mikro schreit.
Auch gut: To My Boy – die kaum einer kannte und die alle
mit ihren lauten, schnellen 80er-Electroclash-Beats überraschten.
Zweite Überraschung: 2Raumwohnung. Inga "Ich seh
noch immer so jung aus" Humpe und Knöpfchendreh-Tommy
spielten Hits wie "Ich und Elaine", "Freie Liebe"
und wie sie alle heißen, deuteten Versautes an, tanzten eierig
herum, und wir müssen gestehen: Was uns bislang als seichter
Schmarrn erschien, bekam in so einer Atmosphäre eine
Leichtigkeit, die durchaus zu gefallen wusste. Punk war das natürlich
trotzdem nicht.
Punk
waren eher die über das weitläufige Gelände
verstreuten Kunstaktionen. Da stand ein Klavier mit Orgelpfeifen
mitten im hohen Gras. Bunte, zerschnittene Sonnenschirme bildeten ein
Spalier auf der grünen Wiese. Die Hauptattraktion wurde
kurzerhand wegen schlechter Witterung auf nächstes Jahr
verschoben, und niemanden störte es: Daniel Richter, Maler und
Buback-Label-Chef, konnte seine Version der Elbphilharmonie nur
andeuten, da der Boden ausgerechnet an dieser Stelle matschig war.
Dafür hatte jemand vor dem alten Getreidespeicher am Elbkanal
ein graumeliertes Sofa platziert – das in dieser Umgebung so
passend wirkte wie eine Poserband wie The Films vorne auf der
Bühne. Wer bei 12 Grad Außentemperatur mit nacktem
Oberkörper auf die Bühne kommt, wer die Libertines auf so
arme Art nachäfft und sich dann noch nicht einmal den Namen der
Band (Good Heart Boutique) merken kann, deren Sängerin
sich zuvor nicht zu schade war, sich öffentlich an The Films
heranzuschleimen, auf den können wir nächstes Jahr
verzichten. Sehr gut fingen hingegen die Mönchengladbacher
Punkrocker NeinNeinNein an, als sie das Publikum mit den
Worten "We are the Films and we are very, very, very impotant"
begrüßten. Danach gab’s - Marke Einfachstrick
- leider schon sehr viel besser gehörten Punkrock.
Am
Samstag machten uns Station 17 Freude. Was die behinderten
Künstler an Energie und Eigensinn auf die Bühne brachten,
rockte. "Ich bin kein Börsenmensch", "Ich
hatte mal ne Party" oder "Meine Frau" wurden im
Stakkato-Sprechgesang deklamiert, Männer trugen rote Röcke
und alle Anwesenden ein Lächeln im Gesicht. Auch fein: Zwanie
Johnsons entspannter Country-Pop mit Ex-Blumfeld-Bassist Lars
Precht an der Gitarre. Dennoch mussten wir leicht übernächtigt
feststellen, dass der Freitag der bessere der beiden Tage war. Da
hatten uns doch auch noch The Robocop Kraus sehr gefallen. Den
Tanzstil von Sänger Thomas Lang kopieren wir jetzt dreist. Und
das im September erscheinende neue Album "Blunders
And Mistakes" - allen voran den Song, wo alle "Ah, ah,
ah" singen - bringen wir in die Charts. Nun gut, wir arbeiten
daran.
Bis
zum Schluss haben wir uns die Lobhudelei auf Tocotronic
aufgehoben, "die besten Tocotronic aller Zeiten"
(Turbostaat-Jan). Ok, der Sound war miserabel, aber wer Sätze
wie "Music is the healing force of the universe” in die
Nacht predigt und Ansagen wie "Liebe Kameradinnen und
Kameraden, das ist für Euch Verrückte, ihr Ausgeflippten,
ihr Freaks" macht, souverän im Löcherpulli (Dirk von
Lowtzow) auftritt, wer "Mein Ruin", "Kapitulation",
"Imitationen von Dir" und "Fahrradfahrer dieser
Stadt", "Hi Freaks" und das großartige "Sie
wollen uns erzählen" spielt und damit seine Zeitlosigkeit
auf’s Eindrucksvollste belegt - den werden wir immer ehren.
Wenn beim nächsten Mal dann auch noch fähigere Bedienungen,
zwei bis drei mehr spannende Bands und der Spätzle-Stand
wieder da sind, kommen auch wir wieder. Versprochen.