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Gesehen! Don Caballero, Gallon Drunk / 21.10.2008, Köln, Gebäude 9
Mathrock, Kopfschrumpfung und die Don Kosaken
Text / Live-Fotos: Klaus Reckert
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Vor der Tür machen wir gleich Bekanntschaft mit einem weit gereisten Fan: Ivo aus Maastricht ist unschwer die Vorfreude auf
das anstehende Konzert seiner Heroes Don Caballero anzumerken, die er weder in ihrer Hochphase in den Neunzigern noch auf
ihrer 2006er-Tour live gesehen hatte. Der Rezensent hatte es nicht ganz so weit, hat aber den Don des Mathrocks auch noch
nie im Konzert erlebt. Ebenso wenig übrigens wie die Vorgruppe Gallon Drunk, von denen beschämenderweise
noch nicht mal Tonkonserven bekannt waren - ein Versäumnis, dass es nach diesem Auftritt dringend nachzuholen gilt.
Das direkt neben der Koelnmesse in Deutz gelegene Gebäude 9 ist ein reizvoll heruntergekommener Club mit Klos auf zugiger Treppe, einer schummrigen Bar und einem zunächst noch hinter schweren Eisentüren verborgenen, mittelgroßen Konzertsaal. Abgeplatzter Putz gibt allenthalben Ziegelsteine preis. Es ist funzeldunkel, aber das 9er-Team ist extrem freundlich, und der Laden schon gut gefüllt. Kein Wunder, denn mit Gallon Drunk eröffnet eine legendäre Band der 90er den Abend, die lange nicht mehr live zu sehen war.
Das Quartett hat eine hinreißende Mischung aus Nick Cave, Cars, frühen Stranglers und Madrugada am Start. Wenn sie, wie heute geschehen, Blues spielen, ist das ein Blues zwischen New Orleans und Vorhölle. James Johnston (voc, guit, hca, gelegentlich: org) ist ein charismatischer Frontmann, dessen ekstatischer Ausdruckstanz David Byrne wie eine Schaufensterpuppe von H&M wirken lässt. Sein dynamisches, auch Slide-Soli aufweisendes Gitarrenspiel treibt die Songs voran. Und sein melancholisches Mundharmonikaspiel lässt an das Hupen auf dem Highway vorbeirasender Autos denken.
Kannegießern Galore
Simon Wrings Bass ist für die besagten "Stranglers"-Assoziationen des Bandsounds ebenso zuständig wie Terry Edwards kultig klingende Schweineorgelparts. Völlig eigenständig werden die Gallonen dann endgültig durch Mr. Edwards harmonisch abenteuerliche Saxophonsoli, die aus dem im Sakko zunächst so bürgerlich wirkenden Gentleman hervorzubrechen scheinen. Ian Whites differenziertes Drumming bereitet schon ein wenig auf den folgenden Act vor, den es aber erst nach einer erklatschten Zugabe und erfreulich kurzer Umbaupause zu bewundern gibt.
Knüppel, knüppel auf den Sack
Das aktuelle Line-up der 90er-Legende des Post-Punk-Progressive-Mathrocks besteht aus Damon Che (drms of madness), Gene Doyle (guit) und Jason Jouver (bss). Als sie die kleine Bühne entern, ist es so dunkel, dass sie ihre Instrumente kaum finden: "Give us a little LIGHT, wie can't see what we're doing!". Nachdem ca. 2,5 Lux mehr Helligkeit erzielt wurden, vergnügt sich das Trio zunächst mal damit, die Musik des heutigen Abends diversen Volksgruppen zu widmen ("The great people of Oklahoma"). Das mag witzig kommen, wenn man ein Publikum bereits - wie neulich noch bei Jaya The Cat buchstäblich geschehen - vor Begeisterung auf den Knien hat. Vor den ersten gespielten Noten aber kann es eine gewisse Geduldsprüfung darstellen. Genau so übrigens wie Damons dünne Witzchen darüber, dass er sich schon sooo auf das Einchecken im Hotel freue...
Das glaubt man dem in so etwas wie Unterwäsche gewandeten - soweit man das bei dem Licht beurteilen kann - Maestro schon fast. Doch mit "Slaughbaugh's Ought Not Own Dog Data" (vermutlich) geht das Konzert dann doch richtig los. Und vermittelt beim Einsetzen des Schlagwerks auch wirklich spontan den Eindruck, von einer solchen Töle in den Kopf gebissen zu werden. Was der Schlagwerk-Pate und sein Kosakenchor hier veranstalten, ist den einen ein an späte King Crimson gemahnender, polyrhythmischer Kunstgenuss. Andere erleben es mehr als ein auf Konzertlänge ausgeweitetes, überlautes Schlagzeugsolo, in das dissonant-monotone Gitarre und rhythmisch versetzter Bass sowie gelegentlich kaum tragfähiger Gesang erfolglos einzubrechen suchen.
Die Begleitung des Rezensenten erlitt jedenfalls nach wenigen Stücken eine Attacke von akuter Kopfschrumpfung. Das hielt Pittsburgh's Finest aber nicht davon ab, weitere Kostproben von ihrer vorzüglichen aktuellen Scheibe "Punkgasm" sowie von "World Class Listening Problem" zu geben. Auf "Celestial Dusty Groove" wie gesagt sogar mit - allerdings kaum vernehmlichem - Gesang. Das erinnert manchmal ein wenig an Sonic Youth oder Helmet, bleibt aber letztlich eine unvergleichliche Naturgewalt. Bei Gelegenheit unbedingt anschauen. But beware of dogbites!