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Wir verlassen die Stadt. Nach einer Stunde Fahrt ab Wien endet der
Zug in der idyllischen Wachaulandschaft im Donautal. Durchsetzt mit
Weinbergen gehört sie ob ihrer Schönheit zum
UNESCO-Weltkulturerbe. Very beautiful, um mal ein Stichwort zu
liefern. Denn "Angst Obsession Beauty" ist Motto des
diesjährigen Donaufestivals, das auch im vierten Jahr mit einem
exzellenten Line-Up zu entzücken und zu verstören weiß.
Von Tabubruch und Poetik der Angst war in der Ankündigung die
Rede. Und tatsächlich: mit dem Betreten des Festivalgeländes
an der Kremser Messehalle wird schnell klar, dass hier nicht heimelig
geschunkelt, sondern unheimlich auf die Pauke gehauen wird. Hier
hat’s gekracht: Die Schrottauto-Installation "Enchanted
Cars" begrüßt den Besucher mit einer Szenarie, die
eine just stattgefundene Massenkarambolage vermuten lässt.
The Go! Team
Aber auch Schunkeln hat hier seinen Platz. Das Konzert der
Wienerin Gustav mit der Trachtenkapelle Dürnstein (einer
Ortschaft unweit von Krems) im von uns nicht besuchten ersten Teil
des Festivals hätten wir gerne gesehen (gut, dass es youtube
gibt!). Nicht zuletzt, weil sich damit ein wenig einheimischer Charme
über das ansonsten weitgehend international besetzte Line-Up
gelegt hätte. Für den mussten dann The Year Of sorgen:
eine Allstar-Band der österreichischen Indie-Szene, die mit
vielen Instrumenten melancholisch schöne Klänge servierte. Was
allerdings eher US-amerikanische Roots hatte. Lambshop und Konsorten
ließen – wenn auch mit Gott – grüßen.
Ebenfalls universell gaben sich die österreichischen
Indie-Darlings von Naked Lunch. Die Live-Aufführung ihres
Filmmusikprojekts zum Streifen "Universal Love" des
befreundeten Regisseurs Thomas Woschitz hinterließ bleibenden
Eindruck. Die geschickt parallel inszenierten sechs Liebesgeschichten
aus sechs Ländern wussten sie gefühlvoll zu vertonen.
Verglichen damit kam der Auftritt der Linzer von Fuckhead
einem Tritt in die Magengrube gleich. Tätowierte Männerkörper
frönten einem orgiastischen Industrial-Geballer. Stahlstadt Linz
eben. So viel zum Einheimischen.
Ansonsten hatte der Veranstalter keine weiten Wege gescheut, um
großartige Acts für das Festival heranzuholen. Wobei
nordamerikanische Bands das Line-Up klar dominierten. Viele ließen
sich in die Schublade "experimentell" und "noisig"
stecken. Aber wir wissen ja: was für den einen purer Krach, ist
dem anderen Musik im Ohr. Und wo die einen den "Tabubruch als
moralischen Akt" witterten, suchten die anderen nach der
nächsten Party. Das größtenteils junge und gar nicht
so sehr nach abgefeimten Avantgarde-Spezies aussehende Publikum
wollte feiern. Wobei es natürlich mal mehr, mal weniger
"abging"
Höhepunkt in Punkto Party war sicher das Go! Team. Die
Soul-Pop-Hip-Hüpf-Maschine rockte den Saal, bis der Arzt kam. Am
Ende hatte die quirlige Sängerin/Rapperin Ninja schlichtweg
keine Stimme mehr. Die Band aus Brighton hatte es so gar nicht
verdient, dass doch auffallend weniger Leute anwesend waren, als an
den beiden Tagen zuvor. Zugegeben: mit der Verpflichtung der
inzwischen über 80-jährigen Ikone Kenneth Anger, der
den ersten Abend des zweiten Festivalteils dominierte, hatte das
Donaufestival einen mächtigen Coup gelandet. Volles Haus
garantiert. Uraufgeführt wurde Angers neuer Film "Ich
will". Eine von den Klängen Anton Bruckners untermalte
Montage von historischen Hitlerjugend- und Wandervogel-Aufnahmen, die
unkommentiert zusammengesetzt wurden. Eine etwas zweischneidige
Konstruktion von Parallelitäten, nach Angers eigener Aussage
"ironisch" durchsetzt. Wobei die Ironie sich nur schwer
erschloss. Kein überschwänglicher Applaus. Aus Schwarz-Weiß
wurde dann Technicolor, als Anger – braungebrannt im beigen
Anzug und Turnschuhen – knallbunte Filmsequenzen mit seinen
Theremin-Klängen untermalte, begleitet von einem langhaarigen
Hippie an der Gitarre. Im Anschluss dann zu Gast im Rahmen der
"Kenneth Anger Nacht": die Melvins mit einem
feisten Rock-Set. Mit zwei Schlagzeugern - einem Setting, in dem in
Krems übrigens auffallend viele Bands auftraten. Der
Zusammenhang zwischen den Rockzerstücklern um King Buzzo und
Herrn Anger wurde nicht ganz klar. Abgesehen womöglich vom
Bassisten, der mit seinem römischen Krieger-Outfit bestens in
einen Film wie "Lucifer Rising" gepasst hätte. In
dem wir uns den King mit seiner nach wie vor unglaublichen Frisur und
dem knöchellangen Kleid natürlich auch bestens hätten
vorstellen können.
Anschließend dann die Liars,
deren aktuelles Album verglichen mit den Vorgängern
ausgesprochen poppig geraten sein soll. Hätte man ihm noch vor
einem Jahr gesagt, dass er ein Album wie dieses aufnehmen würde,
hätte er laut gelacht, wurde Angus Andrew im Vorfeld zitiert.
Bei der Vorstellung von Gitarrensoli ebenso. Fügen wir noch
hinzu: auch dass er sich als klassische Frontsau im Anzug ums
Mikrofon windet, war tatsächlich ein ungewöhnlicher
Anblick. Aber gelacht hat er nicht. Schließen wir das Thema
Headliner noch ab: am zweiten Abend legten die Postrock-Könige
von Tortoise ein solides Instrumental-Set (ebenfalls mit zwei
Schlagzeugen) hin. Treibend wie eh und je, meisterhaft an den
Instrumenten und ungeheuer lässig, vor allem beim ständigen
Instrumententausch. Ebenfalls Headliner und gleichzeitig letzter Act
des Festivals war das New Yorker DJ-Duo Fischerspooner, deren
lauter und basslastiger Auftritt schließlich in eine Party
mündete, bei der das letzte Häuflein übrig gebliebener
Hartgesottener die Bühne stürmte.
Aber gehen wir zurück auf Los. Schließlich hatte das
Festival auch jenseits großer Namen eine Vielzahl spannender
Live-Acts zu bieten. Für einen fulminanten Auftakt
hatten Die Goldenen Zitronen gemeinsam mit der u.a. aus
Fassbinder-Filmen bekannten Schauspielerin Irm Hermann
gesorgt. Dem Spielort Minoritenkirche angemessen, überführten
die Hamburger, den Song "ICE Bertholt Brecht" auf den
Lippen, in einem unheimlichen Prozessionszug ihre Gebeine auf die
Bühne. Zum Thema Angst passten dann Songs wie "Ein
bisschen Totschlag", "Mila" oder das
Gänsehaut-Stück "Lenin" ebenfalls bestens. Frau
Hermann sang teilweise mit, rezitierte zwischen den Stücken
eindringlich Texte – und sorgte auch für den einen oder
anderen Lacher. Vor allem die von ihr im Zugabenteil vorgetragene
Zitatsammlung aus eingedeutschten H.P. Baxter-Texten (wohl recht
spontan ins Programm genommen) sorgte für Heiterkeit bei
Publikum und Band. Theatralisch fiel auch die Performance von Ursula
Rucker zusammen mit den Österreichern von Schnee aus.
Politische Spoken-Word-Poetry, die zu überzeugen wusste.
Freakige Noise-Acts wie Aids Wolf, Health oder These
Are Powers beeindruckten dann weniger mit Worten als mit
furchterregendem Krach, in dem man besser nicht nach klaren
Songstrukturen suchen sollte. Für verstörende Musik mit
merkwürdiger Struktur ist, wenn auch auf andere Art, Jamie
Stewart mit seinem Projekt Xiu Xiu bekannt. Äußerst
pathetisch trug er seine Hymnen vor und spielte dazu noch wahlweise
Gitarre oder Snaredrum. Die Band bediente ihre Instrumente mit
filigranem Schneid, der treffsichere Stöße durch Mark und
Bein zu versetzen verstand. Ganz groß. Im Jonglieren mit Worten
und Musik versuchten sich auch Vedette. Düstere
Elektrobeats begleiteten den "Gesang" des Frontmanns, der
sich darin gefiel, seinen Körper lasziv ums Mikrofon zu winden.
Da waren die Foto-Projektionen im Hintergrund fast unterhaltsamer.
Die Collagen aus mehreren übereinander gelegten Fotografien
hatten ihren Reiz, vor allem als die Dateinamen der Bilder
(ungewollt) eingeblendet wurden. Da gab es dann Lustiges à la
"kebab salad on prenzlauer berg normality.jpg" zu lesen.
Eine unglaublich gute Performance mit spitzenmäßigen
Video-Projektionen legte Planningtorock aka Janine Rostron
hin. Glamourös war das, wie die blonde Dame im weißen
Gewand zu toller Elektronika tanzte und sang. Und die
eindrucksvollen, selbst gebastelten Leuchthelme setzten dem Ganzen
noch die Krone auf. Grandios. Auch der Auftritt der beiden
Kanadierinnen von Mankind hatte Unterhaltungswert.
Elektronische Darkwave-Klänge untermalten eine Performance, die
als Abhandlung über schlechtes Benehmen angekündigt war.
Das in dem Moment seinen Höhepunkt fand, als eine der beiden die
Mini-Kamera, die bis dahin Impressionen von der Bühne zeitgleich
an die Wand projizierte, in ihre Unterhose einführte und das
Gestrüpp ihrer Schamhaare für alle sichtbar wurde. Kleine
Fußnote zum Thema Obsession: Erotik verliert ihren Reiz, wenn
man dem Objekt der Begierde zu nahe kommt. Hinter Phosphorescent
verbarg sich keineswegs ein weiterer Elektronik-Act, sondern Matthew
Houk mit seiner Gitarre. Die angekündigte Band war irgendwo
krank auf der Strecke geblieben. Der Vollbartträger gilt als
neuer Stern am Songwriter-Himmel. Zu Recht, wie der
melancholiegetränkte, aber durchaus amüsante Auftritt
zeigte. Kommen wir abschließend zu den sagenumwobenen Magik
Markers, der inzwischen zum Duo geschrumpften Noise-Band aus dem
Sonic-Youth-Umfeld. Der Auftritt brauchte etwas, um in Gang zu
kommen. Von Elisa Ambrogio sah man zunächst nur Haare und
Gitarre, die sie streckenweise mit einem Geigenbogen malträtierte.
Irgendwann schien das Spiel von Gitarristin und Schlagzeuger besser
zusammenzulaufen, und der Gig hielt einige wenige Momente bereit, die
dem Ruf der Band gerecht wurden. Aber irgendwie hatten wir mehr
erwartet. Vielleicht waren wir auch einfach nur müde und etwas
übersättigt am nunmehr vierten Abend dieses an Höhepunkten
reichen Festivals.
Und die waren nicht nur in musikalischen Live-Acts zu suchen. Auch
das Rahmenprogramm hielt einige Perlen bereit. Am letzten Abend wurde
das Rätsel um das Projekt "efemer" der Musikanten
von Amber and Gold gelüftet. Die hatten sich 24 Stunden
in ein Plastik-Iglo-Zelt im Stadtpark eingenistet, einen bekannten
Popsong auf die Länge eines Tages gedehnt und darüber
improvisiert. Das gefilmte Ergebnis bekamen wir dann – wieder
auf die ursprüngliche Länge zurückkomprimiert –
auf der Leinwand zu sehen. Und dass es "Take Me Out" von
Franz Ferdinand gewesen ist, war dann erstaunlicherweise sehr leicht
zu erkennen. Eine runde Sache. Dagegen hinterließ die als
Anger-Hommage angelegte Theater-Performance "Anger/Nation"
von Radiohole eher Fragezeichen. Auch wenn sie spannend
anzuschauen war. Aber wo ist der Sinn, wenn sich zwei Akteure eine
gefühlte Viertelstunde lang gegenseitig mit einer Schrotflinte in den
Arsch schießen? Keine Ahnung.
Die "Endzeit-Autoinstallation" der
mysteriösen Toxic Dreams/Enchanted Cars im Vorhof der
Messehalle war äußerst eindrucksvoll. Insbesondere dem
jeden Abend fast durchgehend trommelnden "Lone Drummer"
Didi Kern in seinem kuriosen Gefährt (zwei an den Dächern
zusammengeschweißte PKWs!) gebührte Respekt. Wer wollte,
konnte sich außerdem im Kremser Stadtpark von Streifenhörnchen
(Mitgliedern des Künstlerkollektivs Reactor) entführen
lassen, beim schlechtesten Musical der Welt von H.A.P.P.Y.
(mit echten Celebrities!) dabei sein, sich im schicken Pavillon
("Gazebo Extensions") von Rainer Prohaska
entspannen oder mit Gob Squad auf eine magische "Instant
Video Journeys"-Reise durch die Straßen von Krems gehen.
Das Zentrum des Geschehens ab und an einmal zu verlassen, erweitert
nämlich den Horizont. Verlass die Stadt. In Richtung Krems immer
wieder gerne.