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Gesehen! Faith No More / 16.06.2009, Berlin, Wuhlheide
Lachs an Krücken
Text: Holger Küppers Live-Fotos (Hurricane Festival 2009): Mathias Frank
Mike Patton ist Jahrgang 1968 und strotzt vor Energie wie sonst nur 20-Jährige. Zumindest an jenem 16. Juni in der Berliner Wuhlheide, an dem er mit seinen Faith No More das fünfte Konzert ihrer Reunited-Tour spielte. Um kurz nach neun, von den letzten Sonnenstrahlen begleitet, betreten die Bandmitglieder die Bühne, alle mit gedeckt bunten Anzügen direkt aus den Achtzigern. Patton kommt als Letzter raus, klar. Und schießt natürlich den Vogel ab. Sein Anzug schimmert lachsfarben, als er auf die Bühne humpelt, in der Hand einen Nordic-Walking-Stock, den er als Krücke benutzt.
"Hallo Berlin, schaut mal, was wir für alte Säcke sind", soll das wohl selbstironisch heißen. Schon erklingen auch die ersten Töne: einem souligen "Reunited" (im Original von Peaches And Herb) folgt der erste Kracher - "The Real Thing". Und schon nach wenigen Akkorden wird klar, wie der Abend verläuft: nämlich großartig. Pattons Bariton ist noch reifer als vor 15 Jahren, noch voller, noch klarer, und wenn er es will, auch noch kratziger und gleichzeitig smoother als jemals zuvor.
Faith No More spielen quer durch alle Alben, nach "From Out Of Nowhere" folgt "Land Of Sunshine", und immer wieder spielt Patton routiniert, aber cool mit dem Publikum. "Hey, why are you here tonight?" will er wissen, immerhin spielen die Simple Minds am gleichen Abend in Berlin - oder wie heißen sie noch? "Simple Minds? Simply Red? Or just simply shit?!" Er zieht das ohnehin schon moshende und tanzende Publikum voll auf seine Seite. Wer eine Show in der Art "lass' uns rausgehen, ein paar Nummern abnudeln und wieder verschwinden" erwartet hatte, dessen Befürchtungen wurden nicht erfüllt. Im Gegenteil: die Erwartungen sind übererfüllt.
Das lag im Großen und Ganzen an Patton allein und ging so weit, dass der Bandleader seine Kompagnons gar nicht vorstellte - oder vorstellen musste? Im Publikum war von Mitte 20 bis Mitte 50 alles vertreten (dementsprechend erfuhr "Midlife Crisis" gefühlt den größten Zuspruch). Und vermutlich war Patton sehr bewusst, dass wohl die allermeisten Besucher schon das eine oder andere Konzert der Faith No More besucht haben, wenn auch in grauer Vorzeit. "Easy" ging dann allerdings auch den U30-Besuchern leicht über die Lippen. Im Gedächtnis wird eine One-Man-Show haften bleiben, der Abend lebte von Patton.
Das einzige kleine Manko: Auf engagierte Zugaben hatten die Veteranen dann wohl doch nicht mehr so richtig Lust, und so blieb nach zwei eher mauen Nachschlägen der Vorhang unten. War nicht schlimm. 100 Minuten Faith No More bleiben trotzdem in bester Erinnerung.