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Jeff Martin (formerly The Tea Party), Indian Tea Company / 18.9.07, Köln, Underground

Präsentiert von POP FRONTAL

Bauchtanz und Nabelschau

Text / Live-Fotos: Klaus Reckert

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Dieses Package kam nicht auf dem üblichen Wege zustande: etwa "Pay to play". Oder nach dem Motto "Welche Band desselben Labels muss grad noch gepusht werden?" Oder auch: "Welche Regionalcombo spielt garantiert für lau?". Hier war es anders: Der Top-Act Jeff Martin kam auf Einladung der Special Guests. Und dazu erstmals seit langer Zeit wieder nach Deutschland - zum ersten Mal überhaupt als Solo-Künstler.

Jeff Martin

Jeff Martin

Special Guest des Abends ist die Hamburger Band Indian Tea Company, die ähnlich wie Jeff Martins ehemalige Band The Tea Party einen interessanten Stilmix aus indisch-orientalischen Elementen auf solidem Rock- bzw. Pop-Fundament kultiviert. Da um 20 Uhr noch kaum die 64 Menschen zugegen sind, die sich im Vorverkauf Tickets für dieses spannende Paket gesichert hatten, wird noch eine halbe Stunde abgewartet. Vor leider immer noch nicht gefüllten Rängen steigt das Trio dann aber mit einem Intro ein, das bereits mit Guido Gohs (voc, Saiteninstrumente) Sarod-Spiel die wichtigsten Elemente des ITC-Sounds einführt: Ungewöhnliche Harmonien, exotische Tonsprünge, geheimnisvoll flirrende Resonanzsaiten, ähnlich wie bei der seit den Beatles und frühen Stones auch aus der westlichen Rockmusik kaum noch wegzudenkenden Sitar.

"On The Other Side" macht nun auch mit Guidos häufig etwas klagend wirkendem, aber druckvollem Gesang vertraut. Und natürlich mit seinen Partners in crime Stephan Preussner (drms) und Simon Rössler (key). "Under My Skin" muss ohne Sarod auskommen. Das gestattet dem Frontmann, sich in Ganzkörperzuckungen zu winden und dabei in einen schneidenden Falsettgesang hineinzuschrauben. "Light My Eyes" wird buchstäblich zur Aufwärmübung für Jeff Martin: das Publikum soll so laut mitsingen, dass es bis in die Künstlergarderobe dringt. Es ist das erste Konzert der Minitournee, und man merkt den Teehändlern an, wie sehr sie sich selbst auf den folgenden Auftritt freuen.

"Rises From The Ashes" beruht auf einer bengalischen Melodie und macht mit Simons indischem Harmonium vertraut, einer Art Portativ-Orgel, die ihren Luftdruck durch Öffnen und Schließen einer Art "Schublade" erhält. Beim Erklimmen seiner Shruti-Box (einem Tambura Generator) reißt Guido sich selbst das Kabel aus dem Mikrofon, egal – wichtig ist nur die Begeisterung, die jetzt endlich auch auf das Auditorium überspringt. Eine von den Glammer-Twins Jagger/Richards höchstselbst gut geheißene Fassung von "Paint It Black" gefällt auch in Köln durch die freche Neuadaption, den federnden Rhythmus und den wunderschönen Orgelsound. Für das abschließende "Perfect Love" bindet sich Guido eine – wie er erläutert – extra für diesen Anlass erworbene Hagstrom um. Auch drei Gitarrenakkorde habe er just für heute Abend gelernt. Glaubt man ihm gern – wenn die schöne Semiakustik nun auch noch die Stimmung gehalten hätte… Doch wie auch immer: Starker, sympathischer Auftritt, der optimal zum Folgenden passt.

 

 

Apropos Aufwärmen: zu indischen Rhythmen betritt nun die Tänzerin Aveyanda Skye die Bühne. Von ihrer so anmutigen wie akrobatischen Mixtur aus Bauch-, indianischem und indischem Tempeltanz wird etlichen Herren im Auditorium deutlich wärmer ums Herz.

Doch dann ist es endlich Zeit für Jeff Martin. Nur zum Klang von mehreren akustischen Gitarren und "nur" unterstützt vom Perkussionisten Wayne P. Sheehy (u.a.: Cactus World News, Bo Diddley, Bobby Womack, Andrew Strong, Hothouse Flowers, Donovan, The Chieftains, Carl Carlton’s Songdogs) setzt der ehemalige Tea Party-Chef seit seiner Auflösung der Band und seinem Umzug nach Irland auf pure Intensität. Er spricht die Diskrepanz zwischen seinen bisherigen Auftritten in Deutschland (The Tea Party traten zuletzt 2000 als Vorgruppe von Queensryche in sehr großen Hallen auf) und seinem jetzigen Status (gerade mal knapp 100 Menschen sind erschienen) explizit an und wendet sie ins Positive: "Ich bin zu lange nicht hier gewesen. […] Damals mit The Tea Party war alles so laut und schnell. Vielleicht können wir uns jetzt ja einfach mehr Zeit für einige Geschichten nehmen."

Und er erzählt. Vor dem traumschönen "Requiem" beispielsweise, wie er diesen Song zu TTP-Zeiten für einen Freund in depressiver Lebenskrise geschrieben hat. Um dem damit zu sagen, dass es für Nachrufe noch zu früh sei. Und dass es fast immer noch Hoffnung gibt. Das Jeff Buckley gewidmete, innige "Hallelujah" (L. Cohen) hinterlässt bereits einen dicken Kloß im Hals. Bei "I Love You" wischt sich die eine oder andere Besucherin dann schon verstohlen die Augen. Vor allem nach Jeffs Anmoderation: Diese Daniel Lanois-Nummer sei ihm ganz besonders wichtig gewesen, als er mit TTP noch tief in der "dream machine " feststeckte. Und als ihm mitten in Sex, Drugs und Rock’n’Roll aufging, dass nichts wichtiger war, als die 3.000 Meilen weit entfernte Frau, die er liebt. Auffällig übrigens, wie songdienlich Wayne diese Darbietungen unterstützt: Mit einfachstem Instrumentarium, fast immer ohne Sticks bedient, bewahrt er die Songs davor, in Singer/Songwriter-Beliebigkeit zu versinken. Gemeinsam mit den pfiffigen Arrangements, Jeffs zärtlich zupackender Stimme und seinem fesselnden Vortrag sorgt nicht zuletzt der Perkussionist dafür, dass am heutigen Abend garantiert keine E-Gitarren vermisst werden. Selbst bei von TTP bekannten Stücken.

Einen Höhepunkt sowohl des heutigen Konzertes wie der aktuellen, leider noch nicht in Deutschland erhältlichen "Live in Dublin"-CD bildet "The Messenger", in das "Somewhere Only We Know" so genial hineinverwoben ist, dass man sich den Keane-Song künftig kaum noch anders anhören mag. Noch unveröffentlicht ist "A Line In The Sand", das sich mit der Ökologiekrise, dem Generationenvertrag und raffgierigen Politikern auseinandersetzt – bissig und ohne zu predigen. "Winter Solstice" atmet pure Folk-Schönheit und entwickelt sich plötzlich in "Love The One You’re With" von Crosby, Stills, Nash & Young. Diese zur Perfektion getriebene Technik, in Kompositionen Snippets anderer Stücke fast unmerklich einfließen zu lassen, zeigt auch das folgende "Lament", in das sich "Stretched On Your Grave" hineinstiehlt, bei dem Jeff wie ein zweiter Brendan Perry klingt. Vom Sinead-Stück geht die Reise über den traditionellen "Gallow’s Pole"-Blues (u. a. Led Zeppelin, Page/Plant) bis hin zurück zum "Lament"-Thema. Selten ist musikalisches Zitieren so punktgenau und gleichzeitig so elegant gelungen: So wie alte Musikerfreunde ohne allzu viel Spotlight eine Bühne betreten, so scheinen diese Lieder fast auf die Bühne zu wehen, verströmen ihre Schönheit, um dann ebenso unmerklich wieder abzutreten.

Dem Bluesgott opfert Jeffs feuriges Slidegitarrenspiel auch noch mit "In My Time Of Dying" (Blind Willie Johnson/Led Zeppelin). In dessen Verlauf "When The Levee Breaks" (Kansas Joe McCoy, bekannt u. a. durch Led Zep, W.A.S.P., Kristin Hersh, Tori Amos, A Perfect Circle u.v.a.) ein paar lustvolle Takte lang vorbeischaut. Das seiner neuen irischen Heimat gewidmete "The Kingdom" gerät etwas zu süßlich. Doch als beim TTP-Klassiker "Sister Awake" als Zugabe zur Zugabe Aveyanda erneut erscheint, gibt es keinen Zweifel mehr: Jeff Martin ist wieder da, stärker denn je. Und an musikalischer Intensität wohl schwer zu übertreffen. Das Konzert endet mit seinem Versprechen, ab sofort regelmäßig auf Deutschlands Bühnen vorbeizuschauen. Abwarten und Tee trinken…

 

>> Zum Interview mit Jeff Martin vor dem Konzert

 

Links:

>> Künstlerinfo Jeff Martin bei POP FRONTAL

>> Homepage Jeff Martin

>> Jeff Martin @ myspace.com

>> Wayne P. Sheehy @ myspace.com

>> Homepage The Tea Party

>> Homepage Aveyanda Skye

>> Aveyanda Skye @ myspace.com

>> Homepage The Indian Tea Company

>> Homepage Touch Of Music

 

Aveyanda Skye

Aveyanda Skye

 

Indian Tea Party

Indian Tea Party

 

Jeff Martin: Live in Dublin

Jeff Martin: Live in Dublin

 

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