Zum Vergrößern der Live-Fotos bitte auf die Bilder klicken!
Dieses Package kam nicht auf dem üblichen Wege zustande: etwa "Pay
to play". Oder nach dem Motto "Welche Band desselben
Labels muss grad noch gepusht werden?" Oder auch: "Welche
Regionalcombo spielt garantiert für lau?". Hier war es
anders: Der Top-Act Jeff Martin kam auf Einladung der Special Guests.
Und dazu erstmals seit langer Zeit wieder nach Deutschland - zum
ersten Mal überhaupt als Solo-Künstler.
Jeff Martin
Special Guest des
Abends ist die Hamburger Band Indian Tea Company, die ähnlich
wie Jeff Martins ehemalige Band The Tea Party einen interessanten
Stilmix aus indisch-orientalischen Elementen auf solidem Rock- bzw.
Pop-Fundament kultiviert. Da um 20 Uhr noch kaum die 64 Menschen
zugegen sind, die sich im Vorverkauf Tickets für dieses
spannende Paket gesichert hatten, wird noch eine halbe Stunde
abgewartet. Vor leider immer noch nicht gefüllten Rängen
steigt das Trio dann aber mit einem Intro ein, das bereits mit Guido
Gohs (voc, Saiteninstrumente) Sarod-Spiel die wichtigsten Elemente
des ITC-Sounds einführt: Ungewöhnliche Harmonien, exotische
Tonsprünge, geheimnisvoll flirrende Resonanzsaiten, ähnlich
wie bei der seit den Beatles und frühen Stones auch aus der
westlichen Rockmusik kaum noch wegzudenkenden Sitar.
"On The Other
Side" macht nun auch mit Guidos häufig etwas klagend
wirkendem, aber druckvollem Gesang vertraut. Und natürlich mit
seinen Partners in crime Stephan Preussner (drms) und Simon Rössler
(key). "Under My Skin" muss ohne Sarod auskommen. Das
gestattet dem Frontmann, sich in Ganzkörperzuckungen zu winden
und dabei in einen schneidenden Falsettgesang hineinzuschrauben.
"Light My Eyes" wird buchstäblich zur Aufwärmübung
für Jeff Martin: das Publikum soll so laut mitsingen, dass es
bis in die Künstlergarderobe dringt. Es ist das erste Konzert
der Minitournee, und man merkt den Teehändlern an, wie sehr sie
sich selbst auf den folgenden Auftritt freuen.
"Rises From The
Ashes" beruht auf einer bengalischen Melodie und macht mit
Simons indischem Harmonium vertraut, einer Art Portativ-Orgel, die
ihren Luftdruck durch Öffnen und Schließen einer Art
"Schublade" erhält. Beim Erklimmen seiner Shruti-Box
(einem Tambura Generator) reißt Guido sich
selbst das Kabel aus dem Mikrofon, egal – wichtig ist nur die
Begeisterung, die jetzt endlich auch auf das Auditorium überspringt.
Eine von den Glammer-Twins Jagger/Richards höchstselbst gut
geheißene Fassung von "Paint It Black" gefällt
auch in Köln durch die freche Neuadaption, den federnden
Rhythmus und den wunderschönen Orgelsound. Für das
abschließende "Perfect Love" bindet sich Guido eine
– wie er erläutert – extra für diesen Anlass
erworbene Hagstrom um. Auch drei Gitarrenakkorde habe er just für
heute Abend gelernt. Glaubt man ihm gern – wenn die schöne
Semiakustik nun auch noch die Stimmung gehalten hätte…
Doch wie auch immer: Starker, sympathischer Auftritt, der optimal zum
Folgenden passt.
Apropos Aufwärmen:
zu indischen Rhythmen betritt nun die Tänzerin Aveyanda Skye die
Bühne. Von ihrer so anmutigen wie akrobatischen Mixtur aus
Bauch-, indianischem und indischem Tempeltanz wird etlichen Herren im
Auditorium deutlich wärmer ums Herz.
Doch dann ist es
endlich Zeit für Jeff Martin. Nur zum Klang von mehreren
akustischen Gitarren und "nur" unterstützt vom
Perkussionisten Wayne P. Sheehy (u.a.: Cactus World News, Bo Diddley,
Bobby Womack, Andrew Strong, Hothouse Flowers, Donovan, The
Chieftains, Carl Carlton’s Songdogs) setzt der ehemalige Tea
Party-Chef seit seiner Auflösung der Band und seinem Umzug nach
Irland auf pure Intensität. Er spricht die Diskrepanz zwischen
seinen bisherigen Auftritten in Deutschland (The Tea Party traten
zuletzt 2000 als Vorgruppe von Queensryche in sehr großen
Hallen auf) und seinem jetzigen Status (gerade mal knapp 100 Menschen
sind erschienen) explizit an und wendet sie ins Positive: "Ich
bin zu lange nicht hier gewesen. […] Damals mit The Tea Party
war alles so laut und schnell. Vielleicht können wir uns jetzt
ja einfach mehr Zeit für einige Geschichten nehmen."
Und er erzählt.
Vor dem traumschönen "Requiem" beispielsweise, wie
er diesen Song zu TTP-Zeiten für einen Freund in depressiver
Lebenskrise geschrieben hat. Um dem damit zu sagen, dass es für
Nachrufe noch zu früh sei. Und dass es fast immer noch Hoffnung
gibt. Das Jeff Buckley gewidmete, innige "Hallelujah" (L.
Cohen) hinterlässt bereits einen dicken Kloß im Hals. Bei
"I Love You" wischt sich die eine oder andere Besucherin
dann schon verstohlen die Augen. Vor allem nach Jeffs Anmoderation:
Diese Daniel Lanois-Nummer sei ihm ganz besonders wichtig gewesen,
als er mit TTP noch tief in der "dream machine "
feststeckte. Und als ihm mitten in Sex, Drugs und Rock’n’Roll
aufging, dass nichts wichtiger war, als die 3.000 Meilen weit
entfernte Frau, die er liebt. Auffällig übrigens, wie
songdienlich Wayne diese Darbietungen unterstützt: Mit
einfachstem Instrumentarium, fast immer ohne Sticks bedient, bewahrt
er die Songs davor, in Singer/Songwriter-Beliebigkeit zu versinken.
Gemeinsam mit den pfiffigen Arrangements, Jeffs zärtlich
zupackender Stimme und seinem fesselnden Vortrag sorgt nicht zuletzt
der Perkussionist dafür, dass am heutigen Abend garantiert keine
E-Gitarren vermisst werden. Selbst bei von TTP bekannten Stücken.
Einen Höhepunkt
sowohl des heutigen Konzertes wie der aktuellen, leider noch nicht in
Deutschland erhältlichen "Live in Dublin"-CD bildet
"The Messenger", in das "Somewhere Only We Know"
so genial hineinverwoben ist, dass man sich den Keane-Song künftig
kaum noch anders anhören mag. Noch unveröffentlicht ist "A
Line In The Sand", das sich mit der Ökologiekrise, dem
Generationenvertrag und raffgierigen Politikern auseinandersetzt –
bissig und ohne zu predigen. "Winter Solstice" atmet pure
Folk-Schönheit und entwickelt sich plötzlich in "Love
The One You’re With" von Crosby, Stills, Nash &
Young. Diese zur Perfektion getriebene Technik, in Kompositionen
Snippets anderer Stücke fast unmerklich einfließen zu
lassen, zeigt auch das folgende "Lament", in das sich
"Stretched On Your Grave" hineinstiehlt, bei dem Jeff wie
ein zweiter Brendan Perry klingt. Vom Sinead-Stück geht die
Reise über den traditionellen "Gallow’s Pole"-Blues
(u. a. Led Zeppelin, Page/Plant) bis hin zurück zum
"Lament"-Thema. Selten ist musikalisches Zitieren so
punktgenau und gleichzeitig so elegant gelungen: So wie alte
Musikerfreunde ohne allzu viel Spotlight eine Bühne betreten, so
scheinen diese Lieder fast auf die Bühne zu wehen, verströmen
ihre Schönheit, um dann ebenso unmerklich wieder abzutreten.
Dem Bluesgott opfert
Jeffs feuriges Slidegitarrenspiel auch noch mit "In My Time Of
Dying" (Blind Willie Johnson/Led Zeppelin). In dessen Verlauf
"When The Levee Breaks" (Kansas Joe McCoy, bekannt u. a.
durch Led Zep, W.A.S.P., Kristin Hersh, Tori Amos, A Perfect Circle
u.v.a.) ein paar lustvolle Takte lang vorbeischaut. Das seiner neuen
irischen Heimat gewidmete "The Kingdom" gerät etwas
zu süßlich. Doch als beim TTP-Klassiker "Sister
Awake" als Zugabe zur Zugabe Aveyanda erneut erscheint, gibt es
keinen Zweifel mehr: Jeff Martin ist wieder da, stärker denn je.
Und an musikalischer Intensität wohl schwer zu übertreffen.
Das Konzert endet mit seinem Versprechen, ab sofort regelmäßig
auf Deutschlands Bühnen vorbeizuschauen. Abwarten und Tee
trinken…