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Gesehen! Lambchop / 16.11.2008, Hamburg, Fabrik
The City of Love and Romance
Text: Mikel Plett
Fast jeder, der ein paar Jahre in einer größeren
Stadt gelebt hat, bezeichnet sie früher oder später als
Dorf. Der Rezensent begegnete auf dem kurzen Weg vom Altonaer Bahnhof
zur Fabrik derart vielen bekannten Gesichtern, dass er sich glücklich
schätzen konnte, noch rechtzeitig zum Opener "Oh (Ohio)"
die Fabrik erreicht zu haben. Ausführungen zur Vorband werden
daher an dieser Stelle galant unterschlagen. Und auf Kurt Wagner
bezogen bedeutet das, eine Konzert-Location als stetig
wiederkehrenden, festen Platz in der eigenen Biographie wahrzunehmen,
den Gesichtern im Publikum eine gewisse Vertrautheit zu attestieren
und mit ihnen die Frage nach der Anzahl der hier gespielten Konzerte
zu erörtern. Sechs? Acht? Sieben? Schwer zu sagen. Weder Mr.
Wagner noch das Publikum wussten eine sichere Antwort. Fest steht
aber, dass einer dieser Abende sein vierzigster Geburtstag war.
Und
wenn er schon gerade so vertraut mit dem Publikum plauscht, hält
sich Kurt Wagner auch nicht mit Komplimenten zurück: Er sei gern
in der Fabrik und in Hamburg, die Konzerte seien immer sehr schön.
Überhaupt sei Hamburg ja die "City of Love and Romance",
in die er immer wieder gern reise. Das gelte nicht nur für ihn,
sondern für die ganze Band. Zu früheren Lambchop-Konzerten
waren das gut und gern zwölf bis siebzehn Menschen. Dieser
Auftritt wirkt dagegen beinahe intim.
Neben Kurt Wagner, der
zurückhaltend auf dem prominentesten Platz vorn neben dem
Klavier Platz nimmt, sind gerade sechs weitere Musiker aus Nashville
mit ihm angereist. Neben zum Teil neuen und vor allem jungen
Gesichtern an Bass, Keyboard, Schlagzeug und den zwei weiteren
Gitarren ist Pianist Tony Crow auch dieses Mal wieder dabei. Der
positioniert sich während des Konzerts immer wieder mit Ansagen,
Witzen und Fragen an Kurt und das Publikum als Sidekick von Kurt
Wagner (vgl. Video "Lambchop: Tony's Joke" @ youtube.com).
Der trägt es mit Fassung, muss hin und wieder sogar lachen und
kontert gelegentlich mit Sätzen wie: "Well, I think they
need some more beer to laugh about this joke, Tony".
Musikalisch hingegen ist alles an diesem Abend ein
Volltreffer. Nach "Oh (Ohio)" folgen weitere Titel der
aktuellen Platte, wie "Slipped, Dissolved And Loosed",
"National Talk Like A Pirate Day" und "I'm Thinking Of
A Number (Between 1 And 2)". Ältere Stücke werden erst
gegen Ende des knapp zweistündigen Konzerts gespielt. Als
Höhepunkt muss wohl die reduzierte, aber nichtsdestotrotz
mitreißende Version von "Your Fucking Sunny Day"
gelten. Im obligatorischen "Up With People" bittet Kurt für
den Chorus eine Dame und zwei Herren auf die Bühne, die zwar
erst mit der Schwierigkeit ihrer Aufgabe kokettieren, am Ende dann
aber ein ganz bezauberndes "Bahba, life's today"
herausschmettern. Womöglich die Vorband? Sachdienliche Hinweise
bitte an den Autor.
Während der ersten beiden Zugaben
wird es dann wieder ruhiger. Die dritte hingegen reißt sogar
beinahe Mr. Wagner vom Stuhl, auf dem er den ganzen Abend über -
mehr oder weniger ruhig - gesessen hat. "Too Much Apple Pie"
ist schon alles, was vom Text verstanden werden kann. Der Rest geht
im Tosen der Band unter. Aber Wagners eindrucksvolles Artikulieren,
Wackeln und Wippen bleibt im Gedächtnis. Auf große Gesten
wird hier verzichtet. Stattdessen versteht Wagner es, mit kleinen
Bewegungen und im Sitzen mehr Energie und Charme zu verbreiten, als
manch anderer auf den Konzertbühnen dieser Welt. Entsprechend
begeistert war das Publikum in der gut gefüllten Fabrik. Wir
werden uns alle wieder sehen in unserer "Love and
Romance"-Lieblings-Location.