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Gesehen! Mindwise, Bulletproof / 21.10.2004, Bonn, Klangstation

Why start touring?

Text: Klaus Reckert     Fotos: Bettina Reckter

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Der exzellente Auftritt der Redaktionslieblinge Mindwise in der Bonner Klangstation war ganz, ganz großes Kino, gab aber auch Anlass zu einigen betrüblichen Überlegungen zu den heutigen Voraussetzungen erfolgreicher Touren überhaupt. Sad but true: Eine der besseren derzeitigen deutschen Bands im Alternative-Genre, Jurypreisgewinner des Emergenza-Niedersachsen-Finales 2002, mit exzellentem aktuellen neuem Album ("Why Start Breathing") auf gutem und rührigem Label (Eat The Beat) verkauft die in ganz neuem Glanz erstrahlende "Klangstation" am Bad Godesberg nicht nur nicht aus, sondern spielt sich vor zeitweilig nur kaum mehr Köpfen vor als auf der Bühne die Ärschchen ab...

Mindwise

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Auch Eintrittspreise von sechs Euronen, die Präsentation seitens POP FRONTAL und eigene Mundpropaganda hatten das Debakel nicht verhindern können, das die mit beneidenswerter Professionalität und Gutdraufigkeit reagierende Band so erklärt: "Die eigentlich geplante zweite Band 4Backwoods füllt Säle wie diesen regelmäßig, wurde uns gesagt. Jammerschade, dass die wegen eines Sportunfalls ihres Sängers Daniel kurzfristig absagen mussten... Aber Bulletproof (aus Köln/Bonn) sind auch eine starke Band..". Dieses Thema zieht sich wie ein roter Faden durch die Tour: So war der Kölner Auftritt dadurch gehandicapt, dass die dortigen Lokalmatadoren und Labelmates Circle Of Grin ausfielen (üble Handverletzung des Bassisten Sebi). Und der Berliner Gig musste aufgrund eines "Termindrehers seitens des Veranstalters" gleich ganz ausfallen. "Touring Can Make You Crazy", wussten ja schon F.Z. and The Mothers...

Wie auch immer, Karsten hatte wie üblich nicht zuviel versprochen: Das kugelsichere Quartett hat eine enorm fette Crossover-Spielart am Start, die zwischen Rage Against The Machine und Biohazard changiert, ohne aber die Kälte dieser Vorbilder anzunehmen. Bulletproof haben soeben mit Max Kremser im Dortmunder "Stereo Planet"-Studio die Aufnahmen zur ersten EP abgeschlossen und präsentierte überwiegend dieses Material. Gitarrist Marcel "Mars" Saba macht reichlichen Gebrauch von den schätzungsweise einen Meter fuffzig Effekttretdosen vor ihm und verblüfft mit virtuosem, in diesem Genrezusammenhang selten zu hörendem Flageolettspiel. Michael "B" Brzozowski, ein gebürtiger Pole, lebt die kraftvolle Musik völlig aus, die Fotos können vielleicht wenigstens einen kleinen Eindruck von der Intensität seines Vortrags vermitteln. Babyface und Neuzugang Jonas "Sergeant Jones" Vogel (ex- Eatable Freakballs) am Bass ist ein toller Techniker, und „Mars Volta“-Fan Sven Heindl fängt am Schlagzeug die Ausbrüche seiner patronenresistenten Kollegen alle wieder ein. Auch wenn es nicht des Rezensenten Leib- & Magenmusikrichtung ist: Starke Band und guter, engagierter Auftritt. Die Setlist: "Crash&Roll", "Gun-drop", "Nightmaretrip", "Music Downtown", "Choice", "Red Traffic Light", "Subway", "Bulletproof".

Doch weiter zum eigentlichen Grund unseres Hierseins: Schon seit dem ersten Demo von 2002 fasziniert den Rezensenten der Cocktail aus Heaviness und Gefühl, aus Alternative, Grunge, Nu Metal, und Noise, den so nur dieser Hannoveraner Powerfünfer anzurühren versteht. Wie sehr dieses Rezept auch live zulangt, davon konnten sich die wenigen Anwesenden bei einer kleinen Sternstunde des Live-Rocks überzeugen. Denn weit davon entfernt, etwaig vorhandene Enttäuschung (Karsten: "Das ist eben so auf der ersten richtigen Tour: In Hannover füllen wir schon unsere Auftrittsorte, aber in Hamburg oder Magdeburg sah es auch nicht viel anders aus als heute") anmerken zu lassen, gab Mindwise, was sie haben, und das ist nun mal das volle Brett. Besonders spannend war es, bei von Konserve auswendig gekannten Stücken des sympathischen Quintetts endlich einmal verfolgen zu können, wie das Gitarrenduo Karsten (Dr. Karsten Gömann) und Ingo (Werthmann) sich die Arbeit aufteilen. Das gekonnte Zusammenspiel der beiden (ohne sich jemals dabei anzusehen!) ist stark perkussiv, setzt bewusst wenige Soli ein - die aber dann extrem auf den Punkt kommen -, webt stattdessen ein enorm dichtes Geflecht aus Licks und Phrasen, wobei Karsten mehr zupft und Ingo mehr Akkorde schlägt.

An Karstens Setup fällt vor allem das imposante Gitarren-Top "Diezel Herbert" auf (reine Röhrenverstärkung, auch Tom Riepl z.B. hat so ein Edelteil, >> siehe hier), während Ingo auf ein pfiffig umbeschriftetes Marshall-Stack setzt. Schlagzeuger Stefan (Reese) hatte schon beim flotten effektiven Soundcheck vor Publikum (Bulletproof hatte die Mindwise-Backline benutzen dürfen) sein solides Können gezeigt. Ingo ("Hugo" Virkus) an tätowierten Oberarmen und Music Man-Bass (der bei ihm so tief hängt, wie bei Mick Ronson, Gott hab ihn selig, die Gitarre) ist erkennbar das Nu Metal-Tier in der Band: Während er seine grolligen Linien abdonnert, kriecht und mosht er über die Bühne wie eine muskelbepackte Ausgabe von Riff Raff...

Mit Stefan "Crossi" Kreutzfeldt (von einigen je nach Sympathielage als Erfinder oder Erreger der Creutzfeld-Jakob-Krankheit verschrien) hat Mindwise ein zentrales Alleinstellungsmerkmal: Der Rezensent wüsste jedenfalls derzeit keinen deutschen Sänger zu benennen, der mit einer solchen Urgewalt, so unverwechselbar und dabei so glaubwürdig derartige Wechsel zwischen unvorstellbarem Hardcore-Gebrüll ("Roooooaak!") und eindringlich melodischem Gesang meistern würde. Seine Leistung heute abend wird umso beeindruckender, wenn man weiß, dass der Schokocrossi auf Tour von immer schlimmer werdenden Zahnschmerzen gefoltert wurde und die Band ihn auf der Strecke zwischen den Gigs in Magdeburg und Bonn noch für 1,5 Stunden auf dem heißen Zahnarztstuhl platziert hatte.

Und mit diesem Set machten Mindwise die Klang- zur Intensivstation: "What For" (flammenneu, mit allen Mindwise-Trademarks), "Breathe" (bei dem Hugo sein Set nochmal schnell umbauen muss); "Fake" (mit dem der Rezensent die Band mal kennengelernt hatte. Auffällig besonders die großartige zweite Stimme von Karsten); "If There Was" (vom neuen Album), "untitled" (ein so neues Stück, dass es noch nicht mal getauft wurde. Aber wenn das die neue Richtung ist, in die sich die Band entwickelt, um so besser: Hier verlaufen die Wechsel zwischen Ultrabrutale und grunge-iger Melodie pur noch eleganter); "All Those Sunday Mornings" (steinalter Favorit); "Drifting Down" (fast funky, mit hinreißendem Kurzsolo von Karsten); "Falling" (etwas zurückgenommenes Gas), "Half That Man" (half a ballad, die die Grunge-Qualitäten der Jungs zeigt); "Where Is The One" (new stuff again); "Closer" (mit biestigen Hardcore-Attacken); "Suit Myself" (auch Titeltrack des zweiten Demos); "So Far" (vielleicht das stärkste Stück im Set); "Nothing" (die erste Single); "Parable" (extrem heavy) und schließlich "I Know" (Core as Core can).

Apropos: Ein Wort noch zum Austragungsort - viele musikinteressierte Bonner werden die Pinte mit Hinterraumbühne am Bad Godesberger Bahnhof wie der Rezensent noch als unendlich versiffte Typhusbude in Erinnerung haben, bei der Unhöflichkeit und Inkompetenz Anstellungsvoraussetzung des Personals gewesen zu sein schien. Die K-Station, ehedem Heimbühne des inzwischen insolventen Vereins Bonner Rockmusiker (VB), ist heute kaum wiederzuerkennen: Sauber, aufgeräumt, mit ausgesprochen witzig formulierten, gut bestückten Getränke- und sogar Speisekarten, zuvorkommenden bis charmanten Menschen im Service und an der Abendkasse/Gästeliste, sogar der Sound - so unwahrscheinlich das klingen mag - scheint besser zu sein als bei früheren Konzerten.

 

Links:

>> Künstlerinfo Mindwise bei POP FRONTAL

>> Homepage Mindwise

>> Rezension (01.06.04): Mindwise - Why Start Breathing?

>> Mindwise - Why Start Breathing?: Reinhören und Kaufen bei amazon.de

>> Homepage Bulletproof

 

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Mindwise @ amazon.de

Mindwise: Why Start Breathing?

(Eat The Beat / Sony)

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