Auch Eintrittspreise von sechs Euronen, die Präsentation seitens POP FRONTAL
und eigene Mundpropaganda hatten das Debakel nicht verhindern können, das
die mit beneidenswerter Professionalität und Gutdraufigkeit reagierende Band
so erklärt: "Die eigentlich geplante zweite Band 4Backwoods füllt
Säle wie diesen regelmäßig, wurde uns gesagt. Jammerschade, dass
die wegen eines Sportunfalls ihres Sängers Daniel kurzfristig absagen mussten...
Aber Bulletproof (aus Köln/Bonn) sind auch eine starke Band..". Dieses
Thema zieht sich wie ein roter Faden durch die Tour: So war der Kölner Auftritt
dadurch gehandicapt, dass die dortigen Lokalmatadoren und Labelmates Circle Of
Grin ausfielen (üble Handverletzung des Bassisten Sebi). Und der Berliner
Gig musste aufgrund eines "Termindrehers seitens des Veranstalters"
gleich ganz ausfallen. "Touring Can Make You Crazy", wussten ja schon
F.Z. and The Mothers...
Wie auch immer, Karsten hatte wie üblich nicht zuviel versprochen: Das kugelsichere
Quartett hat eine enorm fette Crossover-Spielart am Start, die zwischen Rage Against
The Machine und Biohazard changiert, ohne aber die Kälte dieser Vorbilder
anzunehmen. Bulletproof haben soeben mit Max Kremser im Dortmunder "Stereo
Planet"-Studio die Aufnahmen zur ersten EP abgeschlossen und präsentierte
überwiegend dieses Material. Gitarrist Marcel "Mars" Saba macht
reichlichen Gebrauch von den schätzungsweise einen Meter fuffzig Effekttretdosen
vor ihm und verblüfft mit virtuosem, in diesem Genrezusammenhang selten zu
hörendem Flageolettspiel. Michael "B" Brzozowski, ein gebürtiger
Pole, lebt die kraftvolle Musik völlig aus, die Fotos können vielleicht
wenigstens einen kleinen Eindruck von der Intensität seines Vortrags vermitteln.
Babyface und Neuzugang Jonas "Sergeant Jones" Vogel (ex- Eatable Freakballs)
am Bass ist ein toller Techniker, und „Mars Volta“-Fan Sven Heindl
fängt am Schlagzeug die Ausbrüche seiner patronenresistenten Kollegen
alle wieder ein. Auch wenn es nicht des Rezensenten Leib- & Magenmusikrichtung
ist: Starke Band und guter, engagierter Auftritt. Die Setlist: "Crash&Roll",
"Gun-drop", "Nightmaretrip", "Music Downtown", "Choice",
"Red Traffic Light", "Subway", "Bulletproof".
Doch weiter zum eigentlichen Grund unseres Hierseins: Schon seit dem ersten Demo
von 2002 fasziniert den Rezensenten der Cocktail aus Heaviness und Gefühl,
aus Alternative, Grunge, Nu Metal, und Noise, den so nur dieser Hannoveraner Powerfünfer
anzurühren versteht. Wie sehr dieses Rezept auch live zulangt, davon konnten
sich die wenigen Anwesenden bei einer kleinen Sternstunde des Live-Rocks überzeugen.
Denn weit davon entfernt, etwaig vorhandene Enttäuschung (Karsten: "Das
ist eben so auf der ersten richtigen Tour: In Hannover füllen wir schon unsere
Auftrittsorte, aber in Hamburg oder Magdeburg sah es auch nicht viel anders aus
als heute") anmerken zu lassen, gab Mindwise, was sie haben, und das ist
nun mal das volle Brett. Besonders spannend war es, bei von Konserve auswendig
gekannten Stücken des sympathischen Quintetts endlich einmal verfolgen zu
können, wie das Gitarrenduo Karsten (Dr. Karsten Gömann) und Ingo (Werthmann)
sich die Arbeit aufteilen. Das gekonnte Zusammenspiel der beiden (ohne sich jemals
dabei anzusehen!) ist stark perkussiv, setzt bewusst wenige Soli ein - die aber
dann extrem auf den Punkt kommen -, webt stattdessen ein enorm dichtes Geflecht
aus Licks und Phrasen, wobei Karsten mehr zupft und Ingo mehr Akkorde schlägt.
An Karstens Setup fällt vor allem das imposante Gitarren-Top "Diezel
Herbert" auf (reine Röhrenverstärkung, auch Tom Riepl z.B. hat
so ein Edelteil, >> siehe
hier), während Ingo auf ein pfiffig umbeschriftetes Marshall-Stack setzt.
Schlagzeuger Stefan (Reese) hatte schon beim flotten effektiven Soundcheck vor
Publikum (Bulletproof hatte die Mindwise-Backline benutzen dürfen) sein solides
Können gezeigt. Ingo ("Hugo" Virkus) an tätowierten Oberarmen
und Music Man-Bass (der bei ihm so tief hängt, wie bei Mick Ronson, Gott
hab ihn selig, die Gitarre) ist erkennbar das Nu Metal-Tier in der Band: Während
er seine grolligen Linien abdonnert, kriecht und mosht er über die Bühne
wie eine muskelbepackte Ausgabe von Riff Raff...
Mit Stefan "Crossi" Kreutzfeldt (von einigen je nach Sympathielage als
Erfinder oder Erreger der Creutzfeld-Jakob-Krankheit verschrien) hat Mindwise
ein zentrales Alleinstellungsmerkmal: Der Rezensent wüsste jedenfalls derzeit
keinen deutschen Sänger zu benennen, der mit einer solchen Urgewalt, so unverwechselbar
und dabei so glaubwürdig derartige Wechsel zwischen unvorstellbarem Hardcore-Gebrüll
("Roooooaak!") und eindringlich melodischem Gesang meistern würde.
Seine Leistung heute abend wird umso beeindruckender, wenn man weiß, dass
der Schokocrossi auf Tour von immer schlimmer werdenden Zahnschmerzen gefoltert
wurde und die Band ihn auf der Strecke zwischen den Gigs in Magdeburg und Bonn
noch für 1,5 Stunden auf dem heißen Zahnarztstuhl platziert hatte.
Und mit diesem Set machten Mindwise die Klang- zur Intensivstation: "What
For" (flammenneu, mit allen Mindwise-Trademarks), "Breathe" (bei
dem Hugo sein Set nochmal schnell umbauen muss); "Fake" (mit dem der
Rezensent die Band mal kennengelernt hatte. Auffällig besonders die großartige
zweite Stimme von Karsten); "If There Was" (vom neuen Album), "untitled"
(ein so neues Stück, dass es noch nicht mal getauft wurde. Aber wenn das
die neue Richtung ist, in die sich die Band entwickelt, um so besser: Hier verlaufen
die Wechsel zwischen Ultrabrutale und grunge-iger Melodie pur noch eleganter);
"All Those Sunday Mornings" (steinalter Favorit); "Drifting Down"
(fast funky, mit hinreißendem Kurzsolo von Karsten); "Falling"
(etwas zurückgenommenes Gas), "Half That Man" (half a ballad, die
die Grunge-Qualitäten der Jungs zeigt); "Where Is The One" (new
stuff again); "Closer" (mit biestigen Hardcore-Attacken); "Suit
Myself" (auch Titeltrack des zweiten Demos); "So Far" (vielleicht
das stärkste Stück im Set); "Nothing" (die erste Single);
"Parable" (extrem heavy) und schließlich "I Know" (Core
as Core can).
Apropos: Ein Wort noch zum Austragungsort - viele musikinteressierte Bonner werden
die Pinte mit Hinterraumbühne am Bad Godesberger Bahnhof wie der Rezensent
noch als unendlich versiffte Typhusbude in Erinnerung haben, bei der Unhöflichkeit
und Inkompetenz Anstellungsvoraussetzung des Personals gewesen zu sein schien.
Die K-Station, ehedem Heimbühne des inzwischen insolventen Vereins Bonner
Rockmusiker (VB), ist heute kaum wiederzuerkennen: Sauber, aufgeräumt, mit
ausgesprochen witzig formulierten, gut bestückten Getränke- und sogar
Speisekarten, zuvorkommenden bis charmanten Menschen im Service und an der Abendkasse/Gästeliste,
sogar der Sound - so unwahrscheinlich das klingen mag - scheint besser zu sein
als bei früheren Konzerten.
Links:
>> Künstlerinfo Mindwise bei POP FRONTAL
>> Homepage Mindwise
>> Rezension (01.06.04): Mindwise - Why Start Breathing?
>> Mindwise - Why Start Breathing?: Reinhören und Kaufen bei amazon.de
>> Homepage Bulletproof
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Mindwise
Bulletproof
Mindwise: Why Start Breathing?
(Eat The Beat / Sony)
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