Ende 2006 war etwas anders als in den Jahren zuvor: Weihnachten wurde hierzulande um einige Tage vorverlegt.
Und zwar gleich auf fünf verschiedene Termine und Orte, an denen einmal wieder die Auferstehung einer
der göttlichsten Pop-Ikonen überhaupt zelebriert wurde. Morrissey is back in town - und besuchte
nach Frankfurt, München, Düsseldorf und Berlin schließlich auch Hamburg. "I'll never be
anybody's hero now", heißt es auf der aktuellen Platte "Ringleader of The Tormentors".
Pustekuchen! Altes Heldentum wurde an diesem Abend kräftig aufpoliert und formvollendet in die Jetztzeit
überführt.
Für Überraschungen war er immer gut: und es sind nicht die Bratwürstchen gemeint, die uns
an den Fressständen der unwirtlichen Color Line Arena "auf Wunsch des Veranstalters" verwehrt
wurden. Damit war zu rechnen. Dass der Auftritt allerdings mit einer instrumentalen
Piano-Interpretation der deutschen Nationalhymne begann, sorgte bei einigen für Stirnrunzeln, bei
vielen anderen für lautstarkes Aufgrölen. Da hatte er uns gleich am Anfang gepackt, Morrisseys
gerne einmal seltsamer Humor. Als er im Anschluss die Bühne betrat, hatte er jedenfalls nicht die
beiden Skinheads von damals dabei, mit denen er einst "National Front Disco" intonierte, sondern
setzte gleich mit dem Opener "Panic" ein Zeichen anderer Art.
Denn wer noch immer DJs hängen will, für den scheint auch nach über 20 Jahren im
"Biz" nicht eitel Sonnenschein zu herrschen. Ein übergroßes Foto-Porträt hinter
der Bühne zeigte mit Pier Paolo Pasolini zudem einen, der zu Lebzeiten mit seinen Werken auch eher
zu den umstrittenen Persönlichkeiten seines Landes zählte. Aber nehmen wir es vorweg: Morrissey war
bis auf einige kleine Zwischensarkasmen äußert freundlich gestimmt. Und würden wir die Geste
des Abends wählen, wäre es das Händeschütteln mit den Fans in der ersten Reihe. Auch
wenn noch immer diese, im wahrsten Wortsinn, Un-Verbindlichkeit zwischen ihm und denen vor der Bühne
bestehen bleiben sollte.
Hatte dieses Phänomen noch auf der Morrissey-Solo-Tour 1990 dazu geführt, dass die Menge
sogartig nach vorne drängte, weil einfach alle "ihn" einmal anfassen wollten, drückte
es sich im Jahr 2006 eher in bassem Staunen aus. Man starrte gebannt auf die Bühne, wo der
inzwischen graumelierte Morrissey statt Gladiolen lässig seinen Schlips über der Schulter hängen
hatte und glamourös über die Bühne schwebte. Aber es sollte eine, wenn auch schwache
Hoffnung für seine Jünger geben: "I will see you in far-off places" wurde zu einem der
Gänsehauthöhepunkte des Abends - Vorgeschmack auf das Fegefeuer inklusive, das es auf dem Weg
zu "ihm" zu durchlaufen gilt. Denn hier wurden kräftig die Bässe aufgedreht und auf
den übergroßen Gong geschlagen, so dass Ohren und Leib erzitterten.
Noch zwei Songs zuvor war
Moz bei der Ankündigung von "William, it was really nothing" auf Distanz gegangen. Der
folgende Song sei aus einer Zeit, "when most of you were not even born yet". Das war
womöglich etwas übertrieben, auch wenn man im darauf folgenden "Irish Blood, English Heart"
tatsächlich ein wenig das Gefühl hatte, dass die Jahrgänge 1984 und jünger in der Überzahl
waren - denn ein eher unangenehmes im Takt Mithüpfen und -klatschen machte sich beim "You Are The
Quarry"-Hit breit.
Dem Mob sollte Moz dann einige Songs später sein Hemd zum Fraß vorwerfen. Kunstvoll inszeniert riss er
sich im Song "Let me kiss you" exakt bei der Textzeile "But then you open your eyes /
And you see someone / That you physically despise" das Shirt vom Leib. Das, was es zu sehen gab,
war keinesfalls zu verachten. Gut sah er aus, keine Frage, trotz leichter Andeutung eines Schwimmrings.
Der war flugs wieder überdeckt, mit neuem dunklen Hemd zu dunkler Hose, was ihm fortan beim eleganten
Schwingen des Mikrofonkabels den Anschein eines Toreros gab. Das hatte Stil. Alles hatte Stil. Er,
die perfekt eingespielte Band und auch die Zusammenstellung der Setlist.
Neben neuen Songs der letzten Alben "You
Are The Quarry" und "Ringleader of The Tormentors" hielt sie auch älteres Solo-Material
und Obskures, wie "National Front Disco" und die letzte Zugabe "Don't Make Fun of Daddy's Voice",
bereit und sollte schließlich auch alte Smiths-Fans zufrieden gestellt haben. Für jene war das
eindringliche "How Soon Is Now" sicher ein weiteres Highlight des Abends, das wieder durch Mark
und Bein ging. Ob er nicht mal Deutsch lernen solle, fragte Morrissey gen Ende in die Runde und machte wieder
Hoffnung auf mehr Nähe. Und die Menge antwortete natürlich mit einem schmissigen "Yeaaaaah!".
Aber die Ernüchterung folgte sogleich: "But what should I do with it?" Wir hätten da einen
Vorschlag: Vielleicht beim nächsten Mal das Deutschlandlied mitsingen?
Setlist
Panic
First Of The Gang To Die
The Youngest Was The Most Loved
You Have Killed Me
Disappointed
Ganglord
I'll Never Be Anybody's Hero Now
William, It Was Really Nothing
Irish Blood, English Heart
I Will See You in Far-Off Places
Girlfriend In A Coma
Everyday Is Like Sunday
In The Future When All's Well
I've Changed My Plea To Guilty
Let Me Kiss You
The National Front Disco
Dear God, Please Help Me
How Soon Is Now?
I Just Want To See The Boy Happy
Life Is A Pigsty
Please, Please, Please Let Me Get What I Want
Don't Make Fun Of Daddy's Voice