Und die konnten sich gleich mal an den Verbesserungen erfreuen. In Vorjahren war
beispielsweise beim Auftritt von Anathema selbst für gute Kenner des Bandmaterials
vor lauter Clipping-Kreischen kaum noch auszumachen gewesen, welches Stück
gerade gegeben wurde. Nun aber sind die Galerie und Decken der kleinen Multifunktionshalle
des Austragungsortes "Sjiwa" mit speziellem Material verschalt worden,
was die akustischen Bedingungen in der "Aula" des Jugendzentrums drastisch
verbessert hat. Dieselbe Prozedur soll laut Aussagen des PP-Veranstalters René
Janssen auch dem restlichen Gemäuer bevorstehen, so dass demnächst nachgerade
audiophile Verhältnisse zu gewärtigen sind.
Und die geladenen Bands hatten diese Bemühungen auch wirklich verdient: Obwohl
sich beim Billing mehrere kurzfristige Veränderungen ergeben hatten, resultierten
die für die Besucher eher in Verbesserungen als in Abstrichen - oder wer
würde nicht gerne beispielsweise Devin Townsend für Amorphis eintauschen?
Besonders schön am Festival-Samstag aber waren auch die zahlreich gebotenen
Überraschungen und Gelegenheiten, weiße Flecken auf der musikalischen
Landkarte zu tilgen. Statt wie viele andere Festivals immer nur auf Plattenverkäufe
zu schielen und auf Nummer Sicher zu gehen, wagt sich das PP-Team gerade auch
an weniger bekannte und sogar ungesignte Bands wie die niederländischen Hopefuls
The Dust Connection. Die Tilburger sind aus der Formation Forever Times hervorgegangen
und haben eine gar nicht staubig daherkommende, teils symphonische, teils recht
rockige Spielart von Prog-Rock am Start. Das Bühnenerlebnis ist stark von
dem reizvollen Kontrast zwischen Martijn Balsters (Gitarre, Gesang und Dauer-Extremposing)
und Jeroen Voogd, dem starken Sänger des Quintetts, geprägt. Der 28-jährige,
blondgelockte Balsters, der auch bei der Organisation des Festivals involviert
war, ist ein zugegeben guter Solist, führt sich aber vor dem vor ihm am Bühnenrand
platzierten Ventilator auf der Bühne auf, wie ein dem Gard-Haarstudio entsprungenes
Model... Dem Rauschgoldengel möchte man raten, doch einen weiteren Ventilator
am Hals seiner Stratocaster anzubringen, weil ihm das gestatten würde, sich
auf der Bühne zu bewegen und trotzdem die Mähne weiterzuföhnen.
Im krassen Gegensatz dazu wirkt der ca. 162 cm messende Voogd zwar ungemein sympathisch,
aber eher introvertiert. Dennoch sind es seine manchmal an Ray Alder (dem er sogar
etwas ähnelt) von den späten Fates Warning, manchmal an Buddy Lackey
erinnernden Gesangsparts, die TDC weit über den Durchschnitt heben und zu
einer der stärksten Bands des PP-Samstags machten. Mit dem wunderbaren "The
Grand Final" war sogar ein blitzneuer Song am Start, das andere Material
wie "Out Of Nowhere", das von einem schönen E-Piano-Part von Sander
Heerings eingeleitete "Temporary" oder "Desert Sessions" (zur
Abwechslung mal sehr technischer Progmetal) entstammt dem Demo dieser viel versprechenden
Band. Als Coda läuft vom Band Van Halens Version von "Happy Trails"
– Humor haben die Jungs also auch noch... Als man sich, was typisch für
dieses Festival ist, später beim Bierholen über den Weg läuft,
freut sich Voogd übrigens kindlich über den phantastischen Eindruck,
den er und TDC hinterlassen haben, versichert aber glaubhaft, weder von Fates
Warning noch von Psychotic Waltz jemals gehört zu haben: "Ich bin mehr
so Fan von Bruce Dickinson und Dio..."
Bei All Too Human konnte man - bei übrigens herrlichstem Frühherbstwetter
– vor der Halle sogar ihre Ankunft mitverfolgen: "Die tragen alle fast
schwarze Sonnenbrillen – die müssen aus den USA kommen." Und so
war's auch! Auf der Bühne nehmen die Texaner die ZZ-Top-Gläser zwar
ab, aber der eiserne Wille, "cool" zu sein, verlässt vor allem
Sänger Don Du Zan offensichtlich nie. Der offensichtliche Bodybuilder prägt
den recht frickelig-technisch-kühl daherkommenden Prog-Metal des Quartetts
mit hohem, teils quengeligen Gesang in der Art (aber nicht von der Qualität)
des jungen Geoff Tate und einigermaßen unsympathischem Stage Acting: Wenn
er keine Parts hat, verfolgt er das Geschehen mit verschränkten Dickarmen
und steinerner Miene von der Bühnentür aus. Mag ja menschlich, allzumenschlich
sein, passt aber trotzdem nicht auf ein solches Festival, wo die Bands, die bereits
gespielt haben, typischerweise vor der Bühne mehr mitgehen, als diese Dopinggranate
das on stage tut. Songs wie "Jester" oder "E-Killer" vom 2002er
Album "Entropy" überzeugen jedenfalls auch mehr durch ihren Frickelfaktor,
als durch Musikalität oder Interpretation – mit Ausnahme allerdings
des beeindruckenden Gitarristen "Ich bin zwei Öltanks" Clint Wilson,
der zumindest im Leibesumfang Michael Romeo von Symphony X schon 2-3 Kleidergrößen
voraus hat.
Bei den Schweden Platitude war ProgPower für Drummer Andreas Brobjer (u.
a. Richard Anderssons "Space Odyssey") der erste Auftritt mit der Band
überhaupt, den er aber mit Bravour, einem hinreißenden Drumsolo und
offensichtlichem Spaß absolvierte. Spaßfaktor scheint überhaupt
eine wichtige Größe bei diesem unkonventionellen Sextett zu sein, dessen
– nach eigenen Aussagen 'Progressive Speed Metal' mit gleich zwei Sologitarristen
und zwei Keyboardern über die Rampe gebracht, öhm, geschossen wird.
Durchaus auch neoklassischem Powermetal à la Malmsteen verwandte Stücke
wie "Catch 22" oder "Aeronautica" vom aktuellen Werk "Nine"
oder "Raining Tears" vom 2003er "Secrets Of Life" hätten
die mittlerweile recht zahlreich der Halle zuströmenden Progheads sicher
noch mehr begeistert, wenn sich gerade hier nicht zum ersten Mal der zu laut geregelte
Sound schlimm eingebreit hätte – schade.
Die traditionelle "Dinner Break" mit Livemusik im Keller des Sjiwa ging
für uns noch ohne Dinner, aber auch ohne die Band S.O.T.E. (Songs of the
Exile) vorüber. Schließlich muss man ja auch mal den einen oder anderen
alten Bekannten begrüßen, neue Bekanntschaften knüpfen, die vier
Schlössertour laufen, etc. Die Atmosphäre, in der dies vonstatten geht,
macht ProgPower in seiner jetzigen Form so einzigartig: Jeder spricht mit jedem,
Ausgrenzung findet trotz teils stark divergierender Geschmäcker nicht statt,
denn fast alle Anwesenden scheint zumindest unrettbarer Befall mit dem Prog-Virus
zu einen.
Von solchen Meinungs- und Erfahrungsaustäuschen gestärkt findet sich
das rasende Reporterteam nun damit konfrontiert, dass bei den französischen
Edelproggern von Adagio ein nicht unwesentlicher Besetzungswechsel stattgefunden
hat: Statt dem Pink Cream 69-Shouter David Readman kümmert sich nun der junge
Brasilianer Gus Monsanto um Sangesparts und Interaktion mit dem Publikum. Im Kurzinterview
am Pommespuff erläutert uns Gitarrist/Hauptkomponist Stephan Forte später
freundlicherweise, dass es mit Readman musikalisch ok war und zwischenmenschlich
durchaus noch Spaß gemacht hätte, man sich zu diesem Schritt aber kurzfristig
gezwungen sah, um das gemeinsame Management Bottom Row (Kosta Zafiriou) loszuwerden.
Denn mit diesem hätten sich schlicht unhaltbare Zustände ergeben. Auf
den im Sommer in der Branchenpresse erfolgten Aufruf, sich mit Demos und Fotos
um den Platz an Adagios verwaisten Mikroständer zu bewerben, hatten sich
zahlreiche Sangestalente gemeldet. Als die Band im August das Material von Gus
hörte, ging es gar nicht mehr adagio, sondern presto weiter: Ende August
siedelte der sympathische Mann aus Rio de Janeiro nach Frankreich über und
stieg gleich in die Proben für den ersten Auftritt der Band in dieser Besetzung
am 1. September ein. Der zweite folgte mit dem ProgPower USA-Festival (Atlanta),
und aller guten Dinge waren drei am 02.12. in Baarlo...
Vom Publikum warm begrüßt, entpuppt sich Gus mit seinem niedlichen
Prognatismus (Häschenzähnen) zwar nicht als alles wegschwemmende Männerschönheit,
aber als enormer Sympathieträger, als niemals ermüdender Hüpfball
auf der Bühne und vor allem als technisch versierter Sänger, der das
teils doch sehr fordernde Adagio-Material mindestens so gut singen und vermutlich
sogar einen Tacken inbrünstiger zu interpretieren vermag als der Brite Readman,
der beim Singen immer schon die Mädels vor der Bühne zu taxieren scheint.
Nicht so Gus, nicht so die aktuellen Adagio, die dem zunächst zögerlichen,
dann immer begeisterter mitgehenden Publikum mit "Panem Et Circenses"
nicht nur Brot und Spiele gaben, sondern auch eine Lehrstunde in hochvirtuosem,
klassisch inspirierten und doch leidenschaftlich abgehenden Progmetal: "Seven
Lands Of Sin" oder "In Nomine" hatte der Rezensent bislang immer
mehr als zugegeben wunderschöne, aber doch Kopfhörermusik abgetan -
und ließ sich wie rund 300 andere im Sjiwa gerne eines Besseren belehren.
Der stärkste und in mehrfacher Hinsicht überraschendste Auftritt des
PP-Samstags, bei dem Gitarrist Forte mit seiner siebensaitigen Gitarre kaum Glaubliches
veranstaltete und des Bassisten Franck Hermannys Solo sogar an John Myung von
Dream Theater zu erinnern vermochte. An diesem Abend gelang Adagio einfach alles,
sogar eine feurige Version von Led Zeppelins "Immigrant Song". Man darf
vor diesem Hintergrund besonders gespannt auf das für Anfang nächsten
Jahres angekündigte dritte Adagio-Studioalbum sein.
Die auf Festival-Site und Plakaten (nicht aber auf den Festival-Shirts..) konsequent
falsch geschriebenen Alchemist aus Australien markierten gemeinsam mit dem nachfolgenden
Devin Townsend eindeutig den Härterekord des Samstags. Das bereits seit '90
an seiner ganz eigenen Form des (Melodic) Thrash Metal feilende (ursprünglich
mal u. a. von Voivod inspiriert) Quartett ist heute eigentlich überhaupt
nicht mehr zu kategorisieren – zu vielschichtig und komplex sind die zwischen
aggressivst gebrülltem und ruhigem eindringlichen Gesang pendelnden Stücke,
zu weit die Bezugspunkte zwischen Thrash, Hardcore und kaum auszumachender "Progressivität".
Hat aber keinen gestört, speziell PP-Impressario René Janssen sah
man wohl noch nie bei einer Band so bangen und moshen, wie just bei den Alchemikern.
Wie im Flug verging die Zeit, fast unbemerkt war schon der Headliner-Slot herangekommen,
der diesmal Devin Townsend (u. a. Steve Vai, Strapping Young Lad) gehörte.
Der Kanadier wirkt auf der Bühne tatsächlich so verrückt wie "Animal"
von den Muppets. Und genau wie das pelzige Drum-Tierchen ja wirklich viele große
wie kleine Fans hat, garantiert die Ausstrahlung einer solchen extremen Persönlichkeit
wie der von Townsend durchaus exquisite Unterhaltung mit reichlich „Thrill“.
Etwas komisch wird einem dann allerdings, wenn man aus gewöhnlich gut unterrichteten
Kreisen hört, dass das exaltierte Auftreten wohl nicht nur Bühnenmache
ist.
An diesem Herbstabend aber verschwand der aktuell offensichtlich mehr manisch
als depressiv gepolte "Mad Professor" jedenfalls nicht plötzlich
spurlos, sondern gab seinen begeisterten Prog-Studenten eine Vorlesung in metal-orientiertem,
bislang thrashigem und dann doch immer wieder symphonische Weiten auftuenden Prog.
Hierbei orientierten er und seine vorzügliche Band sich weitgehend am 2003er
Album "Accelerated Evolution", dessen stärkstes Riffmonster "Suicide"
diesen Auftritt auch kongenial beendet hätte, wäre da nicht das Publikum
gewesen, das noch zwei Zugaben von "Hevy Devy" einforderte, darunter
"The Seventh Wave" vom "Ocean Machine"-Album.
>> Zur Foto-Galerie, 1. Tag: Samstag, 02.10.2004
>> Zum Festivalbericht, 2. Tag: Sonntag, 03.10.2004
Links:
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>> Homepage Alchemist
>> Infos und Shop: Alchemist
>> Homepage Devin Townsend
>> Homepage Hevy Devy
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