Diese kanadische "progressive Death Metal"-Combo war schon 2001 eines der
Highlights des Festivals gewesen. Seither ist die damals in Europa noch fast völlig
unbekannte Band von Erfolg zu Erfolg geeilt, konnte mit Century Media von DVS
zu einem großen Label wechseln, war live viel unterwegs, und befand sich
auch aktuell auf Tour mit den Schwere-Nötern von Kataklysm, Graveworm und
Mystic Circle. Auf ebenjener Tour hatten sie noch an diesem Sonntag am frühen
Abend in Hengelo zu sein. Was René Janssens alte Freunde aber nicht davon
abhalten konnte, am gleichen Tag mal eben den zweiten PP-Festivaltag zu eröffnen.
Und das taten sie mit der inzwischen von Into Eternity gewohnten Leidenschaft
und Drastik, obwohl der Kanada-Fünfer ja ganz aktuell zwei Umbesetzungen
verdauen muss: Sänger Chris Krall wurde durch Dean Sternberg, ex-Within Another)
ersetzt. Und an der von Jim Austin verlassenen Schießbude hat Adam Sagan
(Redakteur des "Pit Magazine") Platz genommen. Es wäre allerdings
zuviel behauptet, dass man von diesen Schwierigkeiten nichts mitbekommen hätte.
So vermisste etwa der mit einem Näschen wie Babsi Streisand ausgestattete
Sternberg auf der Bühne ganz offensichtlich furchtbar seine Gitarre, die
er bei seiner Vorband noch bedienen durfte. Sein leichtes Unwohlsein resultierte
neben einigen unglücklichen Blicken auch darin, dass er diverse Male bei
den Chorsätzen, für die Into Eternity zurecht berühmt sind, deutlich
daneben lag. Doch lange nicht so daneben, wie Mastermind Tim Roth, der ein Stück
kurzerhand beendete, dieweil seine Bandmates noch fröhlich weitermachten.
Woraufhin Roth schmutzig lachte - und wieder einsetzte. Trotz einem noch sehr
überschaubaren, aber enthusiastischen Publikum und solchen kleineren Technikproblemen
realisierte die sympathische Truppe, die sich unausgesetzt zwischen den Liedern
dafür bedankte, auf dem ProgPower spielen zu dürfen (!), ein packendes
Set mit Klassikern wie "Elysium Dream", der bislang unveröffentlichten
Nummer "Paralyzed", sowie vom aktuellen "Buried In Oblivion"-Output:
"Embraced By Desolation", "Spiraling Into Depression", vor
allem aber "Absolution Of The Soul", "Distant Pale Future"
und "Shallow" vom wohl bislang ausgewogensten Werk "Dead Or Dreaming".
Dabei fiel auf, dass bei diesen liebgewonnen Songs seit 2001 kaum ein Stein auf
dem anderen geblieben ist, sie wurden fast sämtlich aufwändig und effektvoll
umarrangiert, so erhielt etwa "Shallow" einen frischen Apella-Teil.
Zeit für die Kanadier, zum nächsten Gig zu rasen, und Zeit für
Novact. Die ehedem auf den Namen Morgana-X hörenden Niederländer
haben mit Eddy Borremanns einen attraktiven Frontmann, dessen hohes, durchdringendes
Organ nicht wenig an den zweiten Sänger von Twelfth Night, Andy Sears, erinnert.
Der Neoprog des erst wenige Tage zuvor von Sensory Records unter Vertrag
genommenen Quintetts setzt allerdings mehr auf Bombast als auf Rock und kam beim
von der Vorband erst mal auf Heaviness eingestimmten Publikum weniger an. Stücke
wie das Jeff Buckley gewidmete opulente "Eternal Life" oder das süßliche
"So Help Me God" konnten diesen Effekt nicht wirklich umkehren. Die
Dream Theater-Breaks von "Hope And Fear" versöhnten allerdings
manche und gaben Gitarrist Wouter Wamelink Gelegenheit, seinen Vorlieben für
Chorus und Oktavierer-Einsatz zu frönen. Mit dem wieder recht lieblichen
"Nothing Worth Fighting For" klang der bislang einzige etwas schwächere
Block des Festivals aus.
Doch unglücklicherweise ging's zunächst mit Bombast weiter: Tomorrow's
Eve aus Idar-Oberstein lösen im Übermaß alle gegen Prog-Rock
aus teutschen Landen bestehenden Vorurteile ein: humorlos, pathetisch, eierlos.
Mit bisweilen grundlos ausgewalzt erscheinenden Slow Motion-Versionen von Symphony
X-Stücken wie "Silent Dream/Changes" oder "Crazed Gunman"
punkteten Tomorrow's Eve ebenso wenig, wie durch Sänger Rouven Bitz' Agieren,
der bei abermals clippendem Soundmatsch teils übel schief vernehmen ließ,
dabei bisweilen dreinblickte, als habe ihm jemand sein Schäufelchen weggenommen,
dann wieder minutenlang entrückt ins Publikum starrte, um dann (relativ fruchtlose)
Anstalten zu machen, die PA-Türme zu erklimmen. Das Auditorium dünnte
aus, wir verdünnisierten uns auch.
Auf der Flucht kurz im Basement vorbeigeschaut, wo heute In Tension
die Tafelmusik zur Dinner Break gaben. Das Quintett mit zwei Absolventen der renommierten
Tilburger Rock Academy (die auch u.a. Krezip hervorgebracht hat) in ihren Reihen
weist mit Noortje van de Voort eine hübsche Sängerin auf, deren Stil
allerdings, speziell bei ihrem seit Februar des Jahres auch auf Demo in CD-Qualität
erhältlichen Song "I Was Wrong" leider bislang etwas opernhaft
gerät. Aber das muss ja kein Fehler sein in Zeiten wo Within Temptation,
Nightwish u. a. Belcantogespenster die Charts so richtig abräumen. Die Jungs
von Novact, die sich sympathischerweise im Publikum keine Note entgehen ließen,
schien das Getriller jedenfalls nicht zu stören. Uns auch nicht, doch schon
bald war es wieder Zeit, für den Geheimtipp des Festivals in Position zu
gehen...
Wer aus dem Publikum das CD-Debüt der Polen Riverside noch
nicht kannte, war wenig vorbereitet auf die Stunde geballter Schönheit, Musikalität,
Melancholie und schrägem Witz, die jetzt auf Baarlo niederging. Das Quartett
hat nichts weniger als einen Mix aus dem Besten der (frühen) Pink Floyd,
Porcupine Tree, (späten) Anathema, Antimatter sowie den von Gothic Growls
zu schmachtender Traurigkeit geläuterten Opeth am Start. Das klingt nicht
besonders originell, ist es auch nicht und will es oft auch wohl gar nicht sein,
wie die augenzwinkernde Ansage von Sänger/Bassist Mariusz Duda zu ihrer Beschäftigung
mit häufiger geäußerten Plagiatsvorwürfen im Stück "The
Same River" verrät. Das Titelstück ihres Debüts "Out
Of Myself" und "Loose Heart" jedenfalls rückten schon fast
beängstigend schön an die wichtigsten Zeiten der Cavanagh-Brüder
(Anathema) heran. Orientalische Melodik verarbeitete das live über kostbare
nahezu zehn Minuten laufende "OK". Beim zweiteiligen Instrumental "Reality
Dream" hingegen zeigt die Band eindringlich, was Dynamik vermag: Von meditativen
Anfängen geht die Band mit ihrem Publikum durch eine unglaubliche Steigerung
hin zu symphonischen Breitseiten. Stilprägend sind die komplexen Bass-Schemata
von Duda, der wie ein zweiter Jack Bruce in beeindruckender Weise auch live tonal
und rhythmisch völlig abweichende Gesangslinien darüber legt. Seine
klare, aber wenn er grad keine seiner schalkhaften Ansagen bringt meist traurige
Stimme macht viel vom Zauber Riversides aus. Gitarrist Piotr Grudziñski
erzeugt mit weich singender Leadgitarre viele der symphonischen Klangflächen.
Schlagzeuger Piotr Kozieradzki sieht zwar aus, wie soeben einem Schlachthof entsprungen,
hat sich aber erkennbar am Jazz geschult und trägt mit der Bedienung seines
eindrucksvoll großen Drumkits viel dazu bei, dass Riversides Anverwandlung
der Musik ihrer Helden selbst unverwechselbar gerät. Keyboarder Jacek Melnicki
schließlich suppt nicht wie so oft von seinen Tastenkollegen erlebt alles
zu, sondern lässt Lücken, setzt sparsame Piano-Akzente und seltene und
dann songdienliche Soloparts. Was für eine wunderbare, leidenschaftliche
Herbstmusik. Nach dem passenden "The Curtain Falls" ernten die Polen
hart erarbeiteten, inzwischen aber frenetischen Beifall.
Genretechnisch verharrt das Festivalgeschehen ab jetzt auf der Gothic-goes-Prog-Note
à la Opeth, denn als nächstes erscheinen Katatonia
auf der Bühne, die eine ganz ähnliche Entwicklung wie die Kollegen von
Opeth (die auf dem ProgPower 2000 spielten) genommen haben. Mit
"Ghost Of The Sun", Eröffnungsnummer auch ihres bislang am konsequentesten
in diese Richtungen vorstoßenden 2003er Albums "Viva Emptiness"
ging es denn auch ganz folgerichtig los, gefolgt von "Criminals" aus
der gleichen Epoche. Doch auch bei 2001er Nummern wie dem klagenden "Tear
Gas" von "Last Fair Deal Gone Down" fällt auf, dass Jonas
Renkse und seine Mannen heute mehr nach Steven Wilson (Porcupine Tree) klingen,
als nach ihren diversen Nebenprojekten, z.B. Bloodbath. Wie schön, eigentlich.
Allerdings läuft der Gig heute nicht gut, die Band scheint schlecht gestellt
oder hat die falschen Mittelchen bzw. Dosierung eingesetzt. Jedenfalls runzelt
Renkse bald mehr die Stirn und berät sich mit dem Rücken zum Publikum
mit der Band, als dass er mit den Zuhörern Kontakt pflegen würde. Schade,
denn Stücke wie "Black Session" von "Tonight's Decision"
hätten wirklich eine zwingendere Interpretation verdient. Das Publikum entgleitet
den Schweden, obwohl "Sweet Nurse" die Klagelaute noch einmal auf Cure-
oder Echo And The Bunnymen-Niveau anschwellen lässt. Nochmalige Unterhandlungen
der Musiker, noch mal ein Stück von "Viva" ("Wealth"),
dann geben es die ehemaligen Goth-Götter langsam auf.
Wir werden's überleben, um so mehr, als nun – allerdings nach der ersten
kräftig überzogenen Umbaupause bzw. Soundcheck der Headliner des letzten
Tages ansteht: The Gathering feiern nicht nur in diesem Herbst ihr 15-jähriges
Bandbestehen, wie ein genauer Blick auf die Sängerin Anneke van Giersbergen
schon bei ihrer Ankunft in Baarlo verrät: Es steht Nachwuchs an im Hause
Gathering! Anneke ist relativ gut sichtbar im fünften Monat, und das macht
aus der Stage Performance dieser ohnehin schon von vielen im Wortsinn als bezaubernd
erlebten Gothic-Elfe etwas ganz Besonderes. Schon früher wurde von Kollegen
beobachtet und geschrieben, die niederländische Schönheit "wiege
die Lieder in den Armen wie ein Baby, das hypnotisch den mütterlichen Worten
lauscht", schon früher hat sie (wenn auch im Kontext von Folter; auf
"Amity") von der "motherly breast" gesungen – nun hat
sich diese zarte Person selbst verdoppelt, wiegt und fühlt tatsächlich
unausgesetzt ihre mütterlich werdenden Formen, während sie ihre Band
durch einen gelungenen Mix aus der aktuellen "Semi Acoustic" sowie Gatherings-Standards
führt. Dabei steigert sich The Gathering bei endlich mal wieder zum Schneiden
klaren Sound von Trip Rock mit esoterisch puckernden Sequenzern und Walgesangseinspielungen
bis hin zu Walls of Sound wie sie sie zuletzt in der Zeit produziert haben, als
noch zwei hungrige Gitarristen in der Band waren. Was das fünfmonatige Wesen
von den Klangwällen gehalten haben mag, ist zwar nicht überliefert.
Aber so selig, wie Anneke die ganze Zeit gelächelt hat, scheint es zumindest
keine stark spürbaren Proteste gegeben zu haben, auch nicht, als sich Anneke
selbst eine Gitarre umhing...
Die Setlist des Ausnahmekonzerts: "Rescue Me" (extrem sehnsüchtig),
"Even The Spirits Are Afraid" (der aktuelle Trip-Style vom "Souvenirs"-Album),
"Analog Park" (von If_Then_Else", aber auch schon mit Loops versehen),
"Broken Glass" (zwischen Meditation und Beschwörung), "On
Most Surfaces (Inuit)" (das bewies, dass sich selbst Material der "Nighttime
Birds"-Phase perfekt in das aktuelle Konzept verschmelzen lässt), das
wunderbare "Eleanor" (und leider nicht "Sand And Mercury",
ihr vielleicht kultigstes Stück, beide vom '95er Album "Mandylion",
mit dem ihr Erfolgszug begann), "Marooned" (Ehrenrettung des ungeliebten
"How To Measure..."-Albums), "Travel" (dito), "Amity"
(siehe oben, hat Anneke wohl nie so inbrünstig interpretiert), "Saturnine"
(war ja schon der Höhepunkt von "Sleepy Buildings"), "Herbal
Movement" und als Zugabe die endlos-wohlige Reise ins Dunkle "Black
Light District". Würdiger Ausklang eines endlich mal ausverkauften ProgPower-Festivals
in dennoch familiärer Atmosphäre, zu dem sich Veranstalter, Bands wie
nicht zuletzt Publikum gegenseitig beglückwünschen können.
>> Zur Foto-Galerie, 2. Tag: Sonntag, 03.10.2004
>> Zum Festivalbericht, 1. Tag: Samstag, 02.10.2004
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>> Interview (09.03.04): Hans Rutten / The Gathering - bei POP FRONTAL
>> Konzertbericht (09.03.04): Hamburg, Markthalle - bei POP FRONTAL
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