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Gesehen! ProgPower Europe 2004 Festival / Baarlo, Niederlande, Sjiwa, 2.Tag: 03.10.04

A Family Gathering

Text: Klaus Reckert     Fotos: Stephan Kunze

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Mehr oder weniger erfrischt von der nur einige Stunden währenden ProgPause fanden sich zumindest einige Getreue am zweiten Festivaltag wieder rechtzeitig ein, um sich dafür gleich von Into Eternity belohnen zu lassen. Zuvor aber hatte das uns vom Vortag noch gut in Erinnerung befindliche Goldlöckchen Balsters den möglicherweise schönsten Moment seines bisherigen Lebens: Er durfte das Festival eröffnen und Into Eternity ankündigen.

The Gathering @ ProgPower Europe 2004

The Gathering

Diese kanadische "progressive Death Metal"-Combo war schon 2001 eines der Highlights des Festivals gewesen. Seither ist die damals in Europa noch fast völlig unbekannte Band von Erfolg zu Erfolg geeilt, konnte mit Century Media von DVS zu einem großen Label wechseln, war live viel unterwegs, und befand sich auch aktuell auf Tour mit den Schwere-Nötern von Kataklysm, Graveworm und Mystic Circle. Auf ebenjener Tour hatten sie noch an diesem Sonntag am frühen Abend in Hengelo zu sein. Was René Janssens alte Freunde aber nicht davon abhalten konnte, am gleichen Tag mal eben den zweiten PP-Festivaltag zu eröffnen. Und das taten sie mit der inzwischen von Into Eternity gewohnten Leidenschaft und Drastik, obwohl der Kanada-Fünfer ja ganz aktuell zwei Umbesetzungen verdauen muss: Sänger Chris Krall wurde durch Dean Sternberg, ex-Within Another) ersetzt. Und an der von Jim Austin verlassenen Schießbude hat Adam Sagan (Redakteur des "Pit Magazine") Platz genommen. Es wäre allerdings zuviel behauptet, dass man von diesen Schwierigkeiten nichts mitbekommen hätte. So vermisste etwa der mit einem Näschen wie Babsi Streisand ausgestattete Sternberg auf der Bühne ganz offensichtlich furchtbar seine Gitarre, die er bei seiner Vorband noch bedienen durfte. Sein leichtes Unwohlsein resultierte neben einigen unglücklichen Blicken auch darin, dass er diverse Male bei den Chorsätzen, für die Into Eternity zurecht berühmt sind, deutlich daneben lag. Doch lange nicht so daneben, wie Mastermind Tim Roth, der ein Stück kurzerhand beendete, dieweil seine Bandmates noch fröhlich weitermachten. Woraufhin Roth schmutzig lachte - und wieder einsetzte. Trotz einem noch sehr überschaubaren, aber enthusiastischen Publikum und solchen kleineren Technikproblemen realisierte die sympathische Truppe, die sich unausgesetzt zwischen den Liedern dafür bedankte, auf dem ProgPower spielen zu dürfen (!), ein packendes Set mit Klassikern wie "Elysium Dream", der bislang unveröffentlichten Nummer "Paralyzed", sowie vom aktuellen "Buried In Oblivion"-Output: "Embraced By Desolation", "Spiraling Into Depression", vor allem aber "Absolution Of The Soul", "Distant Pale Future" und "Shallow" vom wohl bislang ausgewogensten Werk "Dead Or Dreaming". Dabei fiel auf, dass bei diesen liebgewonnen Songs seit 2001 kaum ein Stein auf dem anderen geblieben ist, sie wurden fast sämtlich aufwändig und effektvoll umarrangiert, so erhielt etwa "Shallow" einen frischen Apella-Teil.

Zeit für die Kanadier, zum nächsten Gig zu rasen, und Zeit für Novact. Die ehedem auf den Namen Morgana-X hörenden Niederländer haben mit Eddy Borremanns einen attraktiven Frontmann, dessen hohes, durchdringendes Organ nicht wenig an den zweiten Sänger von Twelfth Night, Andy Sears, erinnert. Der Neoprog des erst wenige Tage zuvor von Sensory Records unter Vertrag genommenen Quintetts setzt allerdings mehr auf Bombast als auf Rock und kam beim von der Vorband erst mal auf Heaviness eingestimmten Publikum weniger an. Stücke wie das Jeff Buckley gewidmete opulente "Eternal Life" oder das süßliche "So Help Me God" konnten diesen Effekt nicht wirklich umkehren. Die Dream Theater-Breaks von "Hope And Fear" versöhnten allerdings manche und gaben Gitarrist Wouter Wamelink Gelegenheit, seinen Vorlieben für Chorus und Oktavierer-Einsatz zu frönen. Mit dem wieder recht lieblichen "Nothing Worth Fighting For" klang der bislang einzige etwas schwächere Block des Festivals aus.

Doch unglücklicherweise ging's zunächst mit Bombast weiter: Tomorrow's Eve aus Idar-Oberstein lösen im Übermaß alle gegen Prog-Rock aus teutschen Landen bestehenden Vorurteile ein: humorlos, pathetisch, eierlos. Mit bisweilen grundlos ausgewalzt erscheinenden Slow Motion-Versionen von Symphony X-Stücken wie "Silent Dream/Changes" oder "Crazed Gunman" punkteten Tomorrow's Eve ebenso wenig, wie durch Sänger Rouven Bitz' Agieren, der bei abermals clippendem Soundmatsch teils übel schief vernehmen ließ, dabei bisweilen dreinblickte, als habe ihm jemand sein Schäufelchen weggenommen, dann wieder minutenlang entrückt ins Publikum starrte, um dann (relativ fruchtlose) Anstalten zu machen, die PA-Türme zu erklimmen. Das Auditorium dünnte aus, wir verdünnisierten uns auch.

Auf der Flucht kurz im Basement vorbeigeschaut, wo heute In Tension die Tafelmusik zur Dinner Break gaben. Das Quintett mit zwei Absolventen der renommierten Tilburger Rock Academy (die auch u.a. Krezip hervorgebracht hat) in ihren Reihen weist mit Noortje van de Voort eine hübsche Sängerin auf, deren Stil allerdings, speziell bei ihrem seit Februar des Jahres auch auf Demo in CD-Qualität erhältlichen Song "I Was Wrong" leider bislang etwas opernhaft gerät. Aber das muss ja kein Fehler sein in Zeiten wo Within Temptation, Nightwish u. a. Belcantogespenster die Charts so richtig abräumen. Die Jungs von Novact, die sich sympathischerweise im Publikum keine Note entgehen ließen, schien das Getriller jedenfalls nicht zu stören. Uns auch nicht, doch schon bald war es wieder Zeit, für den Geheimtipp des Festivals in Position zu gehen...

Wer aus dem Publikum das CD-Debüt der Polen Riverside noch nicht kannte, war wenig vorbereitet auf die Stunde geballter Schönheit, Musikalität, Melancholie und schrägem Witz, die jetzt auf Baarlo niederging. Das Quartett hat nichts weniger als einen Mix aus dem Besten der (frühen) Pink Floyd, Porcupine Tree, (späten) Anathema, Antimatter sowie den von Gothic Growls zu schmachtender Traurigkeit geläuterten Opeth am Start. Das klingt nicht besonders originell, ist es auch nicht und will es oft auch wohl gar nicht sein, wie die augenzwinkernde Ansage von Sänger/Bassist Mariusz Duda zu ihrer Beschäftigung mit häufiger geäußerten Plagiatsvorwürfen im Stück "The Same River" verrät. Das Titelstück ihres Debüts "Out Of Myself" und "Loose Heart" jedenfalls rückten schon fast beängstigend schön an die wichtigsten Zeiten der Cavanagh-Brüder (Anathema) heran. Orientalische Melodik verarbeitete das live über kostbare nahezu zehn Minuten laufende "OK". Beim zweiteiligen Instrumental "Reality Dream" hingegen zeigt die Band eindringlich, was Dynamik vermag: Von meditativen Anfängen geht die Band mit ihrem Publikum durch eine unglaubliche Steigerung hin zu symphonischen Breitseiten. Stilprägend sind die komplexen Bass-Schemata von Duda, der wie ein zweiter Jack Bruce in beeindruckender Weise auch live tonal und rhythmisch völlig abweichende Gesangslinien darüber legt. Seine klare, aber wenn er grad keine seiner schalkhaften Ansagen bringt meist traurige Stimme macht viel vom Zauber Riversides aus. Gitarrist Piotr Grudziñski erzeugt mit weich singender Leadgitarre viele der symphonischen Klangflächen. Schlagzeuger Piotr Kozieradzki sieht zwar aus, wie soeben einem Schlachthof entsprungen, hat sich aber erkennbar am Jazz geschult und trägt mit der Bedienung seines eindrucksvoll großen Drumkits viel dazu bei, dass Riversides Anverwandlung der Musik ihrer Helden selbst unverwechselbar gerät. Keyboarder Jacek Melnicki schließlich suppt nicht wie so oft von seinen Tastenkollegen erlebt alles zu, sondern lässt Lücken, setzt sparsame Piano-Akzente und seltene und dann songdienliche Soloparts. Was für eine wunderbare, leidenschaftliche Herbstmusik. Nach dem passenden "The Curtain Falls" ernten die Polen hart erarbeiteten, inzwischen aber frenetischen Beifall.

Genretechnisch verharrt das Festivalgeschehen ab jetzt auf der Gothic-goes-Prog-Note à la Opeth, denn als nächstes erscheinen Katatonia auf der Bühne, die eine ganz ähnliche Entwicklung wie die Kollegen von Opeth (die auf dem ProgPower 2000 spielten) genommen haben. Mit "Ghost Of The Sun", Eröffnungsnummer auch ihres bislang am konsequentesten in diese Richtungen vorstoßenden 2003er Albums "Viva Emptiness" ging es denn auch ganz folgerichtig los, gefolgt von "Criminals" aus der gleichen Epoche. Doch auch bei 2001er Nummern wie dem klagenden "Tear Gas" von "Last Fair Deal Gone Down" fällt auf, dass Jonas Renkse und seine Mannen heute mehr nach Steven Wilson (Porcupine Tree) klingen, als nach ihren diversen Nebenprojekten, z.B. Bloodbath. Wie schön, eigentlich. Allerdings läuft der Gig heute nicht gut, die Band scheint schlecht gestellt oder hat die falschen Mittelchen bzw. Dosierung eingesetzt. Jedenfalls runzelt Renkse bald mehr die Stirn und berät sich mit dem Rücken zum Publikum mit der Band, als dass er mit den Zuhörern Kontakt pflegen würde. Schade, denn Stücke wie "Black Session" von "Tonight's Decision" hätten wirklich eine zwingendere Interpretation verdient. Das Publikum entgleitet den Schweden, obwohl "Sweet Nurse" die Klagelaute noch einmal auf Cure- oder Echo And The Bunnymen-Niveau anschwellen lässt. Nochmalige Unterhandlungen der Musiker, noch mal ein Stück von "Viva" ("Wealth"), dann geben es die ehemaligen Goth-Götter langsam auf.

Wir werden's überleben, um so mehr, als nun – allerdings nach der ersten kräftig überzogenen Umbaupause bzw. Soundcheck der Headliner des letzten Tages ansteht: The Gathering feiern nicht nur in diesem Herbst ihr 15-jähriges Bandbestehen, wie ein genauer Blick auf die Sängerin Anneke van Giersbergen schon bei ihrer Ankunft in Baarlo verrät: Es steht Nachwuchs an im Hause Gathering! Anneke ist relativ gut sichtbar im fünften Monat, und das macht aus der Stage Performance dieser ohnehin schon von vielen im Wortsinn als bezaubernd erlebten Gothic-Elfe etwas ganz Besonderes. Schon früher wurde von Kollegen beobachtet und geschrieben, die niederländische Schönheit "wiege die Lieder in den Armen wie ein Baby, das hypnotisch den mütterlichen Worten lauscht", schon früher hat sie (wenn auch im Kontext von Folter; auf "Amity") von der "motherly breast" gesungen – nun hat sich diese zarte Person selbst verdoppelt, wiegt und fühlt tatsächlich unausgesetzt ihre mütterlich werdenden Formen, während sie ihre Band durch einen gelungenen Mix aus der aktuellen "Semi Acoustic" sowie Gatherings-Standards führt. Dabei steigert sich The Gathering bei endlich mal wieder zum Schneiden klaren Sound von Trip Rock mit esoterisch puckernden Sequenzern und Walgesangseinspielungen bis hin zu Walls of Sound wie sie sie zuletzt in der Zeit produziert haben, als noch zwei hungrige Gitarristen in der Band waren. Was das fünfmonatige Wesen von den Klangwällen gehalten haben mag, ist zwar nicht überliefert. Aber so selig, wie Anneke die ganze Zeit gelächelt hat, scheint es zumindest keine stark spürbaren Proteste gegeben zu haben, auch nicht, als sich Anneke selbst eine Gitarre umhing...
Die Setlist des Ausnahmekonzerts: "Rescue Me" (extrem sehnsüchtig), "Even The Spirits Are Afraid" (der aktuelle Trip-Style vom "Souvenirs"-Album), "Analog Park" (von If_Then_Else", aber auch schon mit Loops versehen), "Broken Glass" (zwischen Meditation und Beschwörung), "On Most Surfaces (Inuit)" (das bewies, dass sich selbst Material der "Nighttime Birds"-Phase perfekt in das aktuelle Konzept verschmelzen lässt), das wunderbare "Eleanor" (und leider nicht "Sand And Mercury", ihr vielleicht kultigstes Stück, beide vom '95er Album "Mandylion", mit dem ihr Erfolgszug begann), "Marooned" (Ehrenrettung des ungeliebten "How To Measure..."-Albums), "Travel" (dito), "Amity" (siehe oben, hat Anneke wohl nie so inbrünstig interpretiert), "Saturnine" (war ja schon der Höhepunkt von "Sleepy Buildings"), "Herbal Movement" und als Zugabe die endlos-wohlige Reise ins Dunkle "Black Light District". Würdiger Ausklang eines endlich mal ausverkauften ProgPower-Festivals in dennoch familiärer Atmosphäre, zu dem sich Veranstalter, Bands wie nicht zuletzt Publikum gegenseitig beglückwünschen können.

 

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Links:

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>> Homepage The Gathering

>> Interview (09.03.04): Hans Rutten / The Gathering - bei POP FRONTAL

>> Konzertbericht (09.03.04): Hamburg, Markthalle - bei POP FRONTAL

 

The Gathering @ ProgPower Europe

The Gathering

 

Into Eternity @ ProgPower Europe

Into Eternity @ ProgPower Europe

Into Eternity

 

Novact @ ProgPower 2004

Novact @ ProgPower 2004

Novact

 

Tomorrow's Eve @ ProgPower 2004

Tomorrow's Eve @ ProgPower 2004

Tomorrow's Eve

 

Riverside @ ProgPower 2004

Riverside @ ProgPower 2004

Riverside

 

Katatonia @ ProgPower 2004

Katatonia @ ProgPower 2004

Katatonia

 

 

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