Dem Auftritt vorausgegangen war ein beispielloser Aufbauakt: Seit Freitag hatten
170 Menschen an der Riesenbühne (280 Tonnen Stahl) inklusive eines gigantischen
Laufstegs und mit zwölf gegeneinander verschwenkbaren Metalltraversen im
Bühnenhimmel gearbeitet. Eine belgische Spezialfirma hatte die 60 Meter breite
Bühne in zehn LKWs angeliefert. Zehn "Rigger" hatten die Beleuchtung
in die Takelage gehängt, 40 "Scaffolder" die Gerüste errichtet,
50 "Stagehands" mehrere Kilometer Kabel verlegt.
Der Aufwand hat sich gelohnt, denn im gigantischen ehemaligen Müngersdorfer
Stadion würden kleinere Aufbauten einfach verschwinden. Auch die zwei 48
Quadratmeter großen topmodernen, brillanten LED-Leinwände links und
rechts von der Bühne sowie ein zentraler Bildschirm über der Bühne
haben sich bewährt, nur so können auch Besucher auf den Tribünen
etwas vom Geschehen mitbekommen.
Ziemlich pünktlich geht es um 20:15 Uhr los, fast a capella, nur von sparsamen
Orgelakkorden begleitet, tritt Paul Rodgers zu mutmachendem Applaus auf den monströsen
Laufsteg, der tief ins Publikum hineinläuft, und singt einen souligen Part,
der sich ab dem Auftritt von Brian May (zu tosendem Applaus) in "Tie Your
Mother Down" verwandelt. Der offensichtlich alterslose Rodgers (Jahrgang
'49, seit den 60ern mit Free, später Bad Co., The Firm sowie solo sehr erfolgreich)
geht absolut freundlich und einladend auf sein Publikum zu, das diese Songs naturgemäß
nur mit dem verstorbenen Freddie Mercury kennt. Natürlich – Gott sei
dank – klingen die Queen-Songs mit ihm als Sänger anders: Wo vorher
das Tuntig-Pompöse, das Operettenhafte dominierte, erhalten die Stücke
heute einen mehr souligen bis erdig rockigen Touch. Und das tut ihnen gut, funktioniert
jedenfalls heute Abend, auch für’s Publikum, das zum Popsong "I
Want To Break Free" langsam die Tropfen von Schirmen und Südwestern
schüttelt. "Fat Bottom Girls" heißt die nächste Station
– und abermals bekommt eine zuvor etwas "bubblegum"-hafte Nummer
so etwas wie Rock Credibility.
Mit der wunderbaren Free-Nummer "Wishing Well" (u.a. auch von Blackfoot
gecovert) hat der Ausnahmesänger Rodgers zwangsläufig ein Heimspiel,
der anschließende Killergroove verrät es gleich – nun kommt "Another
One Bites The Dust", allerdings im modernen Gewand, dezent angerappt und
von Sequenzerschleifen durchwirkt.
Dass sich Rodgers selbst (nach der Zusammenarbeit mit den Weltklassegitarristen
Paul Kossoff – '76 verstorben –, Mick Ralphs und Jimmy Page) zu einem
phantastischen Gitarristen entwickelt hat, soll er heute Abend nicht zeigen, doch
immerhin darf er das aufreizend swingende "Crazy Little Thing Called Love"
mit einigen Akustikgitarren-Akkorden einleiten.
Nun verlässt der deutlich angejahrte Roger Taylor sein Drum-Höckerchen,
um auf dem Laufsteg die Anti-Aids-Ballade "Say It's Not True" anzustimmen.
Seine heiserhohe Stimme und das sympathische Lächeln haben sich jedenfalls
kaum verändert.
Wenn Brian May nun zur akustischen 12-String greift, um "In The Year Of '39"
anzustimmen, weht einen schon Geschichte an, und man erinnert sich, wie man das
(z.B. auf "Live Killers" von '79) erstmals gehört hat.
Endgültig schmilzt das Publikum beim Freddie zugewidmeten "Love Of My
Life" dahin – und liefert dabei den geradesten und besten Auditoriumsgesang
ab, den unsereiner je gehört hat. Das Stadion klingt wie ein gigantischer
Gesangsverein! "Hammer To Fall" beginnt mit Gesang von Brian May, bis
der inzwischen in Lederhose und kawasaki-grünes Muscle-Shirt gewandete Rodgers
einsetzt und dem Stück deutlich mehr Power verleiht. Dafür darf er nun
auch den Bad Company-Hit "Feel Like Making Love" intonieren, den überraschend
viele der Queen-Fans zu kennen (und zu mögen scheinen).
Ungemein spielfreudig, lässig und locker in den Handgelenken zeigt sich Roger
Taylor beim nun folgenden Schlagzeugsolo, das er mit einer – wie immer –
von ihm gesungenen phantastischen Version von "I'm In Love With My Car"
krönt. Weiter geht’s mit dem berühmten Solo, bei dem Brian May,
sich zunächst vor seiner Wand aus neun Vox-Verstärkern windend, sich
per Hallgerät selbst begleitet. Dieses zieht sich heute Abend allerdings
erheblich in die Länge und lässt trotz nun erstmals zugeschalteter mittlerer
Leinwand und Video-Zuspielungen von Auto- und Wolken-Jagden sowie Lava-Lampen-Projektionen
(sic!) plötzlich wieder den unausgesetzt fallenden Regen spüren.
"These Are The Days Of Our Lives", gesungen von Roger Taylor, ist und
bleibt eine Schnulze, doch als hierzu teils nach Privatfilmen aussehende Videos
vom ehemaligen Queen-Sänger Mercury zugespielt werden, tobt das Colosseum.
Fehlt noch, richtig, "Radio Gaga". Das eigentlich doch recht blöde
Nümmerchen führt erstaunlicherweise zu Dieter-Thomas-Heck-Szenen –
man erhebt sich von den Tribünenplätzen, um mitzuklatschen. Gegengift
ist "Can't Get Enough" – wieder eine alte Bad Co.-Komposition,
gefolgt von "It's A Kind Of Magic" und einer heavymetalmäßig
zulangenden, beeindruckenden Version von "I Want It All", bei dem endlich
auch einmal May nicht zu leise gemischt ist – bei übrigens im Infield
einfach tadellosem, hifi-verdächtigen Sound. Den Klang auf den Riesentribünen
können wir nicht beurteilen, allerdings wurden nach ersten Protesten nach
Konzerten inzwischen über großflächig aufgehangene "Soundteppiche"
Abhilfe zu schaffen versucht.
Bei "Bohemian Rhapsody" hilft Mercury aus: Den ersten Teil singt er
quasi von der Leinwand (enorm clever geschnittene Konzert- und alte Video-Takes),
begleitet von seiner alten Band, bis dann Rodgers übernimmt. Das ist gerade
bei diesem Stück sehr geschickt, wirkt "pietätvoll" und verschafft
den Fans nochmals den Kick, Freddie singen zu sehen und zu hören, bis dann
wieder ihr Part kommt: Und sie singen verblüffend gut.
Die einzig passende Zugabe ist natürlich "The Show Must Go On",
gefolgt vom Free-Mega-Hit "All Right Now" (das Publikum ist begeistert).
Für "We Will Rock You" kommen die Sänger des in Köln
seit längerem enorm erfolgreichen gleichnamigen Queen-Musicals auf die Bühne,
tanzen und singen (praktisch unhörbar) mit – ohne große musikalische
Relevanz, aber ein cleveres Cross-Marketing. Wie es sich gehört, wird das
Publikum mit "We Are The Champions" nach Hause und in den auf sie wartenden
Regen geschickt, nachdem sie 2 ¼ Stunden engagierte Rockmusik zwischen
nostalgischen Schauern und seriöser Neubestimmung erleben konnten. Long Live
The Queen.
PS: Auch nach Plattenverkäufen und Charts sind Queen die Champions –
am 05.07. waren sie in den UK-Rekordcharts mit 1.322 Wochen an den Beatles (1.293
Wochen) vorbeigezogen. Am 06.07. hatte es Platin für die DVD "Live At
The Bowl" gegeben. Die Veröffentlichung eines neuen Live-Albums der
aktuellen Besetzung sowie einer DVD wurde für Oktober angekündigt.
Links:
>> Künstlerinfo Queen bei POP FRONTAL
>> Homepage Queen
>> Homepage Queen & Paul Rodgers
>> Homepage Paul Rodgers
>> Homepage Brian May
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