Dezent untermalt wurden die Verkaufsverhandlungen an den Ständen inzwischen
schon von den Klängen der niederländischen Waisenknaben Orphanage.
Ihre Melange aus Gothic und Death Metal wäre ganz sicher noch besser eingegangen
und hätte uns vor die Black Stage gezogen, wenn da nicht neben Georgs Grunzen
noch Rosans Engelspiepsstimmchen immer dazwischen wäre. Auch der Techno-Metal
von Mnemic zerrt uns nicht gerade an den Ohren aus dem Basar-Treiben.
Wohl aber das orchestrale Intro zum Paragon-Auftritt, da diese Bandeinspielung
inklusive Rezitation wirklich majestätisch bis geheimnisvoll rüberkommt
– bis dann der eigentliche Powermetal der Formation losgaloppelt und mal
wieder an Running Wild denken lässt. Stücke wie "Law Of The Blade"
vom gleichnamigen Album kommen bei den Frühaufstehern oder nie Schlafenden
unter dem Publikum aber sichtlich gut an.
Eine der lautesten Bands des Festivals, das fast durchgängig mit kristallklarem
Sound glänzte, waren ausgerechnet Raunchy. Das dänische Sextett gefiel
jedoch mit einer durch Keyboard(-Loops) erweiterte Fassung von modernem Metal
à la Fear Factory.
Gar keinen Zugang fand unsereinerwelcher ausgerechnet zu den von Konserve hochgeschätzten
Cathedral. Was auf Scheiben wie "Seventh Coming" noch wie Lehrstunden
in "Doom goes Stoner" erschien, wurde live von Cathedralenhausmeister
Lee Dorian mit dezentem Gerappe versehen, was das Wiedererkennen von Stücken
wie "Congregation Of Sorcerers", "Stained Class Horizon" oder
"Hopkins (The Witchfinder General)" erschwerte. Aber vielleicht vertrug
sich auch nur der gleißend-helle Mittag nicht mit den dunkel dahinrollenden
Cathedral-Riffs, die etwa bei "Ice Cold Man" zweistimmig von Bass und
einer wunderschönen Gibson SG ausgeführt wurden.
Bei einem der persönlich als Höhepunkt gewerteten Auftritte, dem nun
folgenden von Arch Enemy, tat sich zunächst publikumstechnisch leider immer
noch relativ wenig vor der Black Stage. Besonders interessant ist der Kontrast
zwischen den oft enorm melodischen zweistimmigen Leads der Gebrüder Amott
und den Urschreien von Michael Amotts Partnerin Angela Gossow. Die Erzsympathen
vermittelten vom ersten Takt an das Gefühl, hier wieder gut machen zu wollen,
dass sie vor zwei Jahren das W:O:A hatten absagen mussten. Um dem bei Hämmern
wie "We Will Rise" endlich zahlreicher zuströmenden Publikum nur
ja die vollstmögliche Bedienung zu gewähren, ließ man fast alle
Stücke direkt ineinander übergehen. Die Crowdsurfer ließen sich's
gerne gefallen und setzten zu Höhenflügen an. Ein rundum überzeugender,
so dynamischer wie musikalisch hochstehender Auftritt.
Und es wurde immer noch heißer, wenn sich auch gelegentlich dazu mal ein
Lüftchen bewegte. Bei klimatischen Bedingungen, wie sie ein Grillhähnchen
im Umluftofen vorfinden mag, fanden wir von Brainstorm wirklich nur das witzige
Neil-Diamond-Intro berichtenswert. Galt es ja auch die Kräfte für die
erste Band zu schonen, die etwas aus dem dieses Jahr enorm gleichförmig auf
Mainstream-Metal setzende W:O:A-Billing abstach (obwohl die auch '99 schon da
waren): Mayhem.
Black-Metal-Oberpriester Maniac lieferte die von unseren norwegischen Grabschändern
schon gewohnte Live-Barbecue-Show, die im wesentlichen daraus bestand, eine Garnitur
Schweineköpfe erst anzuflämmen, dann zu umzingeln, mit seinem beachtlich
langen Lappen zu bezüngeln, hernach aufzuspießen (wobei er sich genüsslich
mit Blut betropfen ließ) und mit großer Geste in den Fotograben zu
befördern. Die von Necrobutcher Hellhammer (live ein technisch auffallend
guter Schlagwerker) und Blasphemer dazu unterlegte Musik war zweckdienlich, aber
relativ gleichförmig und statisch, jedenfalls keinesfalls so sensationell
oder "evil", wie die rituellen Handlungen des Frontmannes wirken sollten.
Das Bühnenbild der Kirchenverbrenner – eine Mischung aus Laubsägearbeiten
und Metzgerei – bot jedenfalls mal eine willkommene Abwechslung vom sonstigen
Einerlei auf der Black Stage. Zu Stücken wie "Carnage" (von "Dawn
Of The Black Hearts"), "Dark Night Of The Soul" (von "Chimera"),
"Ancient Skin" (von der gleichnamigen MCD) oder "View From Nihil"
(von Grand Declaration Of War") konnte man also hochvergnüglich –
ein Knobibrot knuspernd – beim blutigen Schlachtfest des zwischen Charisma
und Albernheit hin und her oszillierenden Maniac zuschauen. Die nordischen Nachtgewächse
litten dabei allerdings sichtlich unter der Hitze und bemitleideten auch das Publikum:
"Fuck the heat, fuck the sun". Dennoch war der Mayhem-Sänger nach
dem Gig noch viele Stunden lang mitten unter uns im Backstage-Bereich, mit Corpsepaint
und verbundener Pranke, da er sich beim Döneranrichten auf der Bühne
entweder mit der Fleischergabel verletzt oder verbrannt hatte, aber jedenfalls
für jeden anzuschauen und zu sprechen. Wie überhaupt viele der Stars
sich dieses Jahr gerne unters schreibende Volk mischten: beispielsweise Mike Terrana
(u.a. Rage, Axel Rudi Pell) war sozusagen mehrtägig ein fast unvermeidbarer
Anblick und Gesprächspartner rund ums Pressezelt.
Later that same evening: Zu den Klängen von Grave Diggers "Heavy Metal
Breakdown", die von der True Metal Stage bis auf den Pressezeltplatz herüberwehten,
brach bei unseren italienischen Hering-Nachbarn das Original W:O:A-Merchandize-Zelt
zusammen. Diese Spielzeuge sahen zwar hübsch aus, waren aber dem gerade auf"frischenden"
Wüstenwind offensichtlich nicht gewachsen. Not for heavy (metal) duty usage...
So bekam unsereiner aber immerhin noch etwas von Kotipeltos Quengelgesang aus
der Oper "Is there live after Stratovarius" mit – "Save Our
Souls" spielte er aber immer noch...
Mit dem nicht völlig unpassenden Hymnus "King Of Rock'n Roll" hob
nun eine Wacken-Show von Dio an, die zu begeistern imstande war, selbst wenn man
auch das schon ein paar Mal hatte und es fast die zehnte Band des Tages war. Warum?
Es muss etwas mit dem totalen Einsatz und daraus resultierender großer Glaubwürdigkeit
des kleinen Mannes mit der Riesenstimme zu tun haben, der sich überdies durch
besonders freundlichen Umgang mit seinem Publikum hervortat, es anfeuerte, aber
auch belobigte und sich bei ihm bedankte, wie sonst kaum eine(r). Die Setlist
bot alles auf, von uralten Rainbow-Lichtspielen über Black Sabbath-Nummern
bis hin zu noch unveröffentlichtem Dio-Material: "Sign Of The Southern
Cross" ertönte passend zum blutorangenroten Sonnenuntergang, "Stargazer"
bot allen Spätgeborenen die Chance, noch einmal Rainbow in schönster
Leidenschaft erleben zu können, an "Stand Up And Shout" missfiel
eigentlich nur das ermüdende Drumsolo inklusive Orchestereinspielungen vom
Band (das mal wieder schmerzlich an den Verlust Cozy Powells erinnerte), "Don't
Talk To Strangers" konnte man selten so dramatisch dargebracht hören,
der Midtempo-Stampfer "The Eyes" vom Ende August erscheinenden neuen
Dio-Rundling "Master Of The Moon" veranlasste die Wackentausende zu
spontanem Mitsingen auch noch nach Ende des Stückes, was wiederum Ronnie
James D. sichtlich rührte. Mit "Rainbow In The Dark", dem langsam
genommenen Medley aus "Man On The Silver Mountain" (einschließlich
"Long Live Rock'n Roll" und "Rock'n Roll Children"), "Gates
Of Babylon" und natürlich "Holy Diver" konnte ja gar nichts
mehr schief gehen. Warum genau ausgerechnet Joey De Maio von Manowar im Verlauf
dieser Feierlichkeiten noch auf die Bühne turnen und Dios Metalverdienste
mit einer Art Ehrenplakette in Straßenschildgröße ehren durfte,
ist nicht ersichtlich, störte aber bei diesem Prachtauftritt von vorne bis
hinten auch kein bisschen mehr.
Szenenwechsel, aber total: Eläkeläiset kann man denen, die diese Finnen
noch nicht erlebt haben, vielleicht am ehesten als Aki-Kaurismäkki-Metal
beschreiben: Ein Trupp älterer, deutliche Abnutzungserscheinungen zeigende
Männer sitzt in einer Reihe am vorderen Bühnenrand, die vor sich –
in absteigender Wichtigkeit – eindruckerweckende Mengen Alkoholes, Zigaretten
und diverse, nach Pfandleihhaus aussehende Instrumente stehen haben... Aus diesen
Reihen erheben sich dann Humppa-Weisen (die finnische Variante der Polka) einschließlich
einiger Coverversionen berühmter Metal-Stücke, die auf uns wie "Finntroll,
die nicht rocken" wirkten, aber zugegeben beim Publikum spontane Polonäisen
und (wirklich eindruckerweckend) frenetisches Mitsingen hervorrufen.
Zum ersten Mal störte beim Schunkelgenuss vor der Party Stage die ungleich
lautere Darbietung von Destruction auf der Black Stage. Also schnell mal hingeschlendert,
noch rechtzeitig zu Schmiers Anti-Globalisierungsansage zum neuen Song "The
Revenue Pays" (oder ähnlich) vom kommenden Album, aber auch zu Klassikern
wie "Thrash Till Death".
Abermals eine 180-Grad Kehre stand jenen bevor, die nun zu der – während
des Umbaus mit Vorhängen verhängte - True Metal Stage auf Doro mit ihrem
"Metal Classic Night Orchestra" umschwenkten. Eine vielköpfige
Auswahl aus dem Düsseldorfer Symphonie-Orchester intonierte zum Auftakt Maidens
"Fear Of The Dark", wozu Deutschlands Rockblondine No. 1 keinen Geringeren
als Blaze Bailey (ex Iron Maiden) als Duettpartner auf der Bühne begrüßen
durfte. Udo Dirkschneider (ex-Accept, U.D.O.) war verhindert, so dass Judas Priests
"Breaking The Law" ohne ihn übers Knie gebrochen werden musste.
Doch für’s hymnische "Für Immer" erklomm wirklich Chris
Caffery (Savatage) die Wackenbühnenbohlen, so dass alles in allem ein deutlicher
Ausblick auf das angekündigte ""Classic Diamonds"-Album geboten
wurde. Wer auch die sich nun anschließende dreißigminütige Umbaupause
noch durchlitt, wurde mit einem in dieser Form einmaligen Warlock-Reunion-Konzert
in ursprünglicher ('86er) Besetzung belohnt – auch ein Resultat von
Doros Geburtstags-Gig in Düsseldorf. Für manchen war das die schmerzliche
Krönung von sowieso schon viel zu viel unbedarftem Hosenkneifer-Metal am
Festival-Freitag, andere vergossen bei gaaanz altem Stoff wie "Burning The
Witches" heiße Freudenzähren.
Nur noch ein Zehntel des Publikumsaufkommens, das sich Doro gegeben hatte, hielt
bis zu Amon Amarth durch. Selber schuld, denn die Death Metal-Ausbrüche der
Wikinger um den tobenden Rübezahl Johan Hegg erschienen durchaus als ohrenreinigende
Wohltat nach soviel Posermucke. Mit den Klängen von "For The Scabwounds
In Our Backs" ließ es sich dann auch ganz gut in die Horizontale gleiten.
>> Zur Foto-Galerie, 2. Tag: Freitag, 06.08.2004
<< Zum Festivalbericht, 1. Tag: Donnerstag, 05.08.2004
>> Zum Festivalbericht, 3. Tag: Samstag, 07.08.2004
Links:
>> Homepage Wacken Open Air mit Running Order und Band-Page-Links
>> Rezension (30.08.04): Dio - Master Of The Moon
>> Meldung 10.08.04: Eintritt frei: Doro spielt unplugged in Hamburg
>> Meldung 08.12.03: Für immer Doro? Doppel-DVD in den Läden
>> Gesehen! Arch Enemy: (Erz)feindseliges Package in Köln, 17.02.04 bei POP FRONTAL
>> Tourinfo Doro bei POP FRONTAL
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