Immer mal was Neues: Morgens um 11 ist die Wackenwelt zwar in Ordnung, das Duschzelt aber plötzlich kostenlos, dafür die Kackzeile stundenlang überhaupt nicht mehr betretbar. Naja, da heißt es, Prioritäten zu setzen. Nachdem diese erfolgreich gesetzt wurden, konnte man sich noch über die schwachsinnige Regelung ärgern, dass wieder mal der Zugang vom VIP-/Pressebereich zum Festivalgelände um 11:30 Uhr noch von bereits gestern anwesenden Breitschultern verrammelt blieb. Die Auftritte beispielsweise von Grave und Primordial fanden also unter Ausschluss der Journalisten statt - vermutlich nur, damit im Backstagebereich noch ungestört Salatblätter onduliert werden konnten.
Opeth
Es blieb genau wie gestern Nacht natürlich noch die Alternative, abermals einmal die Runde ums Gelände zu drehen. Bei den zunächst nur akustisch genossenen Grave fielen allerdings auch beim Marschieren und auch auf diese Distanz noch ein bemerkenswert eindrucksvoller Sound und die fetten
Flanger-Effekte über den Drums auf. Allerdings bespielten die Old School-Deather die Black Stage so laut, dass Primordial auf der Party Stage Mühe hatten, sich klanglich durchzusetzen. Die sympathischen Iren um den weiß geschminkten, kahlrasierten, edel klagenden Sänger A. A. Nemtheanga gefielen dennoch mit eindringlichem Material wie "As Rome Burns" oder dem hymnischen "Heathen Tribes" vom aktuellen Album "To The Nameless Dead" oder dem besonders schönen "Coffin Ships" von "The Gathering Wildness".
Es blieb noch Zeit für einige Takte Mortal Sin und ihrem sehr sortiert und auf den Punkt gespielten Old School Thrash: Das "Love, Death, Hatred" der Australier knallte erheblich und erinnerte angenehm an Overkill & Co.
Trotz gefährlich inkontinent wirkender dichter Bewölkung fanden sich jetzt mehrere tausend Kenner vor der Party Stage ein, wo nur wenig verspätet die frisch reformierte Kultformation Cynic zum Regentanz aufspielte. Doch trotz der synchron einsetzenden Schauer hielt man mehrheitlich vor der Bühne aus, von der eine für dieses Festivalformat nicht ganz typische Melange aus Jazz, Progressive und Death Metal auf’s jubelnde Publikum niederging. Lediglich das einzige je erschienene, dem Jahr '93 entstammende Meisterwerk "Focus" reichte der Florida-Formation, um auch heute noch mit Respekt und ausgesprochenem Sonderstatus behandelt zu werden. Mit einem solchen Ruf heißt es natürlich besonders vorsichtig umzugehen. Und genau das taten die Gründungsmitglieder Paul Masvida (voc, guit) und Sean Reinert (drms, key) sowie ihr Live-Support Tymon (guit, voc) und Robin Zielhorst (bss) nach Kräften. Die nach einem gruseligen Intro und stets unterteilt durch Rezitations-Samples gebotenen Stücke begeisterten durch den flexiblen Gesang zwischen Falsett, Kreischen und Growlen, die Polyrhythmie, den herrlich pumpenden Phaser-Bass. Dabei kam neues Material wie das bei aller Komplexität doch sehr gefällige "Evolutionary Sleeper" ähnlich gut über die Rampe wie die kultigen Klassiker "How Could I", das zauberisch schöne "Veils Of Maya" oder der Nackenbrecher "Uroboric Forms".
Beim Bierholen passten sogar noch ein paar Takte Job For A Cowboy dazwischen, deren "Suspended By The Throat" angenehm an alte Slayer erinnerte. Später am Tag vertiefte eine Prelistening Session im Pressezelt noch die Bekanntschaft mit den neuen Cynic-Songs vom Ende Oktober auf Season of Mist herauskommenden Album "Traced In Air", die tatsächlich von Sigur Ros-haften Qualitäten bis hin zu Morbid Angel-artigen Teilen vieles bieten und mehr als gespannt auf die Fortsetzung des Kults machen.
Gruppenbild mit Fahne
Inzwischen regnet es nicht mehr. Es wolkenbricht. Erstmals für
Ensiferum trauen wir uns wieder unter einer
Zeltplane vor. Die wüst geschminkten Rockträger bieten
süffigen Folk-Metal à la Korpiklanii, Finntroll oder
Turisas auf. Ein Stück wie "Token Of Time" vom Debüt
weist neben deftigem Geriffe auch Dudelsack- und Zinkengepfeife (von
der Keyboarderin abgerufen) sowie einen loshüpfenden Humppa-Part
auf. Das zieht alsbald auch nahezu echt wirkende Elche vor die mit
fahnenartigen Backdrops und einem Wikingerrundschild gezierte Bühne.
"Ahti" von "Victory Of Souls" peitscht die Fans
trotz mittlerweile arg matschigem Boden zu Hüpfhöchstleistungen
auf.
Später am Tage ließen sich die abschließenden
Takte Kasperlemucke von Sonata Arctica nicht
vermeiden: "The Cage". Im Takt dazu jongliert ein Metalhead
neben uns mit Schlammkugeln. Der scheint allerdings auch mehr auf
Opeth zu warten. Die mal wieder kamen, sahen,
siegten. Das Sitar-Intro zu "Demon of the Fall" eröffnete
sehr atmosphärisch, "The Baying of Hounds" (wie beim
R.A.R. 08) und "Master's Apprentices" langten fürchterlich
zu und mit "Heir Apparent" fand auch - auffallend wenig -
aktuelles Material Berücksichtigung. "Wreath" bot
schon kaum noch Steigerungsmöglichkeiten, und "The Drapery
Falls" mit toller Slidegitarre von Fredrik Åkesson
(Ex-Arch Enemy) machte den Sack vollends zu. Leider hatte die Band
mit ausnahmsweise mal leicht matschigem Sound zu kämpfen, bei
dem sich speziell Per Wilberg nicht optimal durchsetzen konnte.
Dennoch hätte das so für uns noch mehrere Stunden weiter
gehen können. Aber auch für immerhin eine volle Stunde
Opeth lernt man, dankbar zu sein. Insbesondere für die
Entertainer-Qualitäten eines Mikael Åkerfeldt und seiner
Ansagen, die ähnlich legendär wie seine Band sind: "If
you do not recognize this song, you're a fucking cunt"; "Wir
sind alle verkatert, denn wir waren im gleichen Hotel wie Iron Maiden
untergebracht. Ich musste mir schrecklich Mut antrinken, um Bruce und
Steve 'Hallo' sagen zu können.". "The Drapery..."
wird Uli Jon Roth (Ex-Scorpions) gewidmet, den Mikael Backstage
getroffen hat.
Pausenfüller für die Zeit bis The Haunted:
Children Of Bodom, wie so oft in Wacken, wie so oft
extrem großmäulig. Beispielsweise "Hatecrew
Deathroll" stellt doch immer noch ziemlich zwingenden Melo-Death
dar. Während dieses Auftritts verzeichnete die Security am
Fotograben den bisherigen Crowdsurfer-Rekord aller W:O:As: 2.100 Mal
nehmen die breitschultrigen Herren horizontal anfliegende Fans
entgegen. Doch dann sind der heute leider eher überheblich
aufgelegte Peter Dolving und seine Verhexten von The Haunted
soweit, die Party Stage zu entern. "In Vein" knallte enorm,
ließ aber die frühere Melodieverliebtheit der Formation
etwas vermissen; "The Drowning" und "Trenches"
setzten diesen Trend fort, später sollen auch noch "99",
"All Against All", "No Compromise" und "The
Flood" gefolgt sein - allerdings schon ohne unseren Beistand.
Wir haben diese Band schon absolut genial Clubs rocken sehen, heute
aber zündeten sie irgendwie nicht.
Corvus Corax hatten bereits "Cantus Buranus I" vor zwei Jahren zu mehr
oder weniger großem Entzücken auf dem W:O:A inszeniert.
Auch der Carl Orff verpflichteten Einspielungen zweiter Teil wurde
dem kopfstärksten Heavy-Metal-Publikum Europas nicht
vorenthalten, mit abermals im Sopran schmetternder Operndiva, vollem
Chor, Krummhörnern, Dudelsäcken und Zinken zuhauf.
Nach dem gigantomanischen Feuerwerksfinale ist es Zeit für den ersten
Festivalauftritt des Avantasia-Projekts um Tobi
Sammet, dem von Edguy bekannten jodelnden Geck mit Cowboyhut und
Tüchlein auf der rechten Gesäßtasche. Mit "Twisted
Mind" ging's denn auch kongenial los, gefolgt von "The
Scarecrow" und dem Auftritt des ersten Gaststars: Jørn
Lande kam die gewaltige Treppe des Bühnenaufbaus herunter und
schmetterte dabei ganz augenscheinlich auch gehörig in sein
Mikro. Ohne allerdings, dass das Publikum irgendwas davon mitbekam.
Jørns Monitorkanal scheint offen gewesen zu sein, aber
ansonsten erfuhr sein Gesang leider viele minutenlang keinerlei
Verstärkung. Für "Reach Out For The Light"
gewandete sich der von einem Penis-Kalauer zum nächsten
moderierende Tobi in Rüschenhemd und roten Mantel. Dafür
erscheint zu "The Story Ain't Over" (bei dem Tobi sich
nicht entblödet, eine Deutschlandfahne zu schwenken) Bob Catley
(Magnum) auf der Bühne. Nicht nur bei "Lost In Space"
zeigt sich übrigens, dass auch die Bildregie (vom neuen
Medienpartner Rockalarm?) völlig verloren scheint: So wurden die
Zuschauer beispielsweise minutenlang mit Einstellungen gelangweilt,
die völlig untätige Keyboarderfinger zeigen, während
munter Gastsänger die Bühne erklommen oder stramme
Gitarrensoli abgefeuert wurden. Zu "Toy Factory" steuert
beispielsweise niemand Geringeres als der schon Backstage
aufgefallene, mal wieder stets friedlich vor sich hinlächelnde
Uli Jon Roth Schützenhilfe auf der Sky Guitar bei, ohne dass
Soundmixer oder Bildregie das jedoch hervorgehoben hätten. Trotz
unglaublicher Besetzung (Sascha Paeth, Andre Matos, Oliver Hartmann,
Michael "Miro" Rodenberg, Felix Bohnke, Robert Hunecke
sowie besagte Gaststars) waren wir doch froh, als nach der
Pseudozugabe "Sign Of The Cross" der Spuk vorbei war.
Pseudo, denn obwohl seit Wochen jeder in der Running Order der
Wacken-Site nachlesen konnte, wann der Avantasia-Auftritt beendet zu
sein hat, tat Tobilein emsig so, als habe ihn nur das ergebene
Publikum nochmal aus den Kulissen hervorgelockt.
Der Kontrast zu Gorgoroth hätte nicht größer
ausfallen können. Das "opulente" Bühnenbild mit
gehäuteten Lammschädeln, wohin das Auge reichte, sowie
nackten Gekreuzigten mit verhüllten Gesichtern wollte
offensichtlich schockieren. Ansonsten blieb vor allem norwegischer
Old School-Black Metal zu verzeichnen, der nicht allzu lange zu
fesseln vermochte.