Die Speisekarten gestatten gar die Auswahl von Sekt und Lachs im Wrap zur Stärkung, und es gibt
sogar Gäbelchen zum Dönerburger: wer hier die 42,50 Euronen (Abendkasse)
über hat, um die Heroen seiner Jugend noch einmal live zu erleben, schätzt
das bürgerliche Ambiente, das den Rahmen zum heutigen unter das Motto "Summer
Storm" gestellten Aufeinandertreffen dreier Rockgrößen aus den
(primär) 80er Jahren bildet - ein bisschen stürmisch ja, aber bitte
nicht zu wild.
Bereits gegen 15:30 Uhr übernimmt ein nicht zu identifizierender Singer/Songwriter
die Aufwärmaufgabe mit Songs wie "Tell Me, Tell Me, Tell Me: How Are
You" oder "Capture Me". Selbst das Merchandise-Team, zu dem er
das durch seinen einigermassen unspektakulären Vorträg zur akustischen
Ragtime-Gitarre womöglich doch zum CD-Kauf animierte Publikum schickt, kennt
den Herren leider nicht.
Aufgrund offensichtlicher Top-Organisation auf und hinter der Bühne ist diese
bereits um 16:20 Uhr bereitet für einen Sir Bob Geldof, der kein Hehl daraus
macht, dass er um diese Zeit normalerweise langsam über das Aufstehen zu
meditieren pflegt: "Usually this is sound check time". Die noch verklebten
Augen des Ex-Chefs der legendären Boomtown Rats hindern ihn aber nicht, auf
das noch nicht allzu zahlreich erschienene Mitvierziger-Publikum hinunterzublinzeln
und zu spotten: "That's German culture, you sit down for rock". Auch
der Umstand, dass der u.a. für seinen Einsatz für das '85er "Live
Aid"-Festival geadelte einstige Punk sich das ganze Konzert über nicht von
seinem Kaugummi trennen mag, lässt zunächst wenig Gutes erwarten. Doch
die Ex-Ratte wacht und wärmt sich von Minute zu Minute mehr auf, angefeuert
von seinen ausgezeichneten fünf Sidemen, den Bob Katz. Passenderweise beginnen
die Katzen den Gig mit dem "Great Song Of Indifference" von "Vegetarians
Of Love", bei dem sich schon die Orchestrierung mit Fiddle und Quetschkommode
sehr angenehm bemerkbar macht. So wie dieser Song bewegt sich auch das folgende,
minütlich besser werdende Konzert häufig und sehr angenehm zwischen
keltischen Folkeinflüssen und harten Rockriff-Einsätzen. Highlight ist
ein Block aus drei Oden an die Heimatstadt der Rats, Dublin: "When The Night
Comes", "Boys Are Back In Town" (fulminantes Thin Lizzy-Cover)
und "Walking Back To Happiness". Die Reggae-Anverwandlung von "Scream
In Vain" (von "Sex, Age & Death") kommt ebenso gut über
die Rampe wie das alte, herrliche "Rat Trap" sowie - natürlich
- der größte Rats-Hit "I Don't Like Mondays", dessen Thema
"Amoklauf in der Schule" ja heute leider aktueller denn je ist. Auf
die Gutmenschen-Hymne "This Is The World Calling" hat Sir Bob heute
keine Lust, dafür beschließt eine neuerliche Version von "Indifference"
den Bogen und ein Konzert mit allen Höhen und Tiefen.
Doch weiter zum musikalischen Höhepunkt des Abends: Mit Alben wie "A
Pagan Place", "This Is The Sea", "Fisherman's Blues",
"Room To Roam" oder "Dream Harder" hatte die irische Band
um Mastermind Mike Scott von Anfang der 80er bis Anfang der 90er Jahre bewiesen,
dass Folkrock eine mindestens so aufregende wie ästhetische Angelegenheit
sein kann. Neben der intelligenten, leidenschaftlichen Poesie von Scotts Texten
("A Man Is In Love"), seinem Melodien für die Ewigkeit ausschwitzenden
Songwriting und der leicht näselnden Gesangsstimme zum Verlieben hatte vor
allem ein weiteres Mitglied die Waterboys in dieser Dekade einzigartig gemacht:
Anthony Thistlethwaite an Mandoline, Bass, Gitarre und Keyboards sowie den spannendsten,
bisweilen sehr majestätischen Saxophon-Linien, die man außer von Mel
Collins damals kaum zu hören bekommen konnte. Doch Mr. Thistlethwaite und
seine Wunderkanne suchte man ab 18:30 Uhr auf dem Platz zwischen den Museen vergebens:
die Waterboys sind inzwischen auf ein Trio geschrumpft - mit Steve Wickham (Fiddle,
Mandoline) und Richard Naiff (Keyboards). Doch diese drei spielen so derartig
auf den Punkt und aufeinander zu, dass selbst Stücke, die damals erst durch
das Saxophon magisch wurden, im neuen Kontext hervorragend funktionieren, was
viel mit Wickhams Teufelsgeige zu tun hat, die mal wie ganze Bläsersätze
daherkommt, mal eine elektrische Gitarre evoziert und immer wieder unvermittelt
in rasante irische Tänze ausbricht. "Vampire Man" ist eines seiner
Showpieces, gefolgt von dem wunderbaren "Life Of Sundays" von '90 oder
"Good News" von "Dream Harder", dem zarten "Wonderful
Disguise" oder einer nicht enden wollenden Fassung von "Sweet Thing",
das "Black Bird" von den Beatles zitiert. "Bring 'em All In",
der Titelsong von Scotts besseren von zwei Soloalben schafft einen Ruhepunkt,
von dem aus sich "When Ye Go Away" als einem der schönsten Heartbreak-Songs
der Waterboys erhebt. Diese Musik ist Rock im besten Sinne, doch lässt sie
gleichzeitig die Salzluft der Küste riechen, zeichnet die Höhenzüge
der Wicklow Hills nach und lässt den Geschmack eines Murphy's Stout nacherleben.
"The Pan Within" und "Fisherman's Blues" beenden einen Auftritt,
der trotz seiner relativen Kürze von 60 Minuten kaum Wünsche offenließ.
Außer vielleicht dem, die nun folgenden Hooters aus Philadelphia hätten
den Waterboys etwas mehr Zeit von ihrem Set abgegeben. Sie waren zwar erkennbar
Headliner dieses 'Summer Storms' und wurden vom Publikum beim Wiedererkennen von
Hits wie "Brother Don't You Walk Away", "Fighting On The Same Side",
"Johnny B." (die Version von Perzonal War ist aber immer noch um Längen
stärker), "Satellite", "500 Miles" und dem unvermeidlichen
"Karla With A K" entsprechend beklatscht, doch nach der feingliedrigen
Musikalität von Sir Bob und den Waterboys kamen viele der von den Oberhooters
Rob Hyman und Eric Bazilian geschriebenen Beiträge doch vergleichsweise als
Rumtata rüber. Darüber konnte auch Bazilians schönes Doppelhalsinstrument
aus E-Mandoline und E-Gitarre sowie Rob Hymans Solo auf dem Synthesizer zum Reinpusten
(einer Art gigantischen Alcotesters) nicht hinwegtäuschen.
Dennoch eine runde Sache: Two Out Of Four der am Sturm beteiligten Bands waren
grandios und aller Ehren wert. So macht 80er-Nostalgie noch richtig Spaß.
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Bob Geldof
The Waterboys
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