Die Welt ist schlecht, und wir haben Tränen in den Augen. Alle, die den Einundvierzigjährigen
aus Bad Salzuflen noch nicht kennen, sind es wohl genau aus diesem Grund (weil
die Welt zu ihnen schlecht ist). Alle, die Bernd Begemann kennen, haben diesen
glasigen Blick, weil das, was der Liedermacher-Olympionike singt, so grandios
und gnadenlos wahr, liebenswert amüsant und exzellent beobachtet ist. So
lässig selbstironisch und augenzwinkernd vereint er gegensätzliche Gemüter.
Frauenherzen schlagen höher, Männer Alarm. Horden spontan heiratswilliger
Damen schmieden Pläne einer rosafarbenen Zukunft in XL, während die
Herren wahlweise über düstere Mordabsichten oder die magische Anziehungskraft
heller Bundfaltenhosen sinnen und Schwulwerden akut als valides Lebensmodell einstufen.
(Wer sagte noch gleich, die Welt sei schlecht?) Als Schiegermutterideal packt
der Tanzbär das Leben mit seinem Mikrofaserblick auf die Welt in detailverliebte
Dreieinhalb-Minuten-Songs. Alle, die ihm zu Füßen liegen, danken es
dem Exil-Eimsbüttler mit frenetischen Ovationen und stellen fest: "Ja,
verdammt. Genau so ist's!"
Im gut abgestimmten Bandgefüge der "Befreiung" trommelt Achim Erz
zwischen beschwingtem Bums-Disko-Drive und zarter Engtanz-Kuschelei. Wie unter
Wasser und über den Wolken intoniert Kai Dohrenkamp filigran die Keyboardtastatur.
Zu Lebenswahnsinn und Liebespoesie zupft Vollbartkotelette Ben Schadow an den
wummernden Bass-Saiten. Das Leben ist ein Brigitte-Leserinnen-Wunschkonzert. Zumindest
bei Bernd Begemann-Shows. Süchtig nach Applaus richtet uns der mimikstarke
Songwriter mit zeitlos betörendem Charme und einem stets mehr als dreistündigen
Pointenmarathon gekonnt und souverän wieder auf. Ein herzliches Geben und
Nehmen im gelungenen Wechsel. Aus allen Ecken des Raumes bewegt sich die einhellig
lauter werdende Stimmwand immerzu nach vorne: "Unten Am Fluss / Unten Am
Hafen / Wo Die Großen Schiffe Schlafen." Der klare Heimvorteil in "seiner"
Stadt schallt ihm mit viel Jubel aus hunderten heiser werdenden Kehlen an anderer
Stelle mit einem sattem "Fischbek" entgegen. "Das beste Fischbek
seit hundert Konzerten! (Damit Fischbek euch erspart bleibt!)", wie das bauchige
Zentralorgan wohlwollend grinsend zurückgibt. Glückselige Gesichter
freuen sich über kindlichen Spaß am Erzählen, erfrischende Selbstironie
und den schonungslosen Ausdruckstanz im Mambo-Style zu "Gut im Bett".
Ein männlicher Skeptiker wirft neidvolle Blicke auf die Bühne zu einem,
der da so wonnig und ganz innig er selbst ist. In BegeBeat-Manier macht da vorne
einer ernst mit dem großen Gefühl. Zu imposantem Latin-Lover-Hüftschwung,
tribbelnden Kevin-Kuranyi-Steppfüßlein, Herzschmerz, der auf dem Pegel
schon nicht mehr drauf ist und bis in die herausgestreckte Zungenspitze reicht.
Neidhammel haben da erst einmal zwanzig Minuten Zeit, um ihre Kauleiste wieder
in den Griff zu kriegen. So ein Mammutprogramm erfordert eine Verschnaufpause.
"Macht Lärm! Macht Lärm!" Mit laszivem Overkill in der Stimme
reißt Bernd mit großer Geste in Schweißperleneuphorie die Arme
in die Luft, und vor allem die höhere Frequenz der Geräuschkulisse im
Publikum nimmt rapide zu. Eine glückliche Rampensau aus dem Freien und hansestädtischen
Stall des Grand Hotel van Cleef suhlt sich jackett- und krawattenbefreit mit offenem
Hemd und wirrem Brusthaar im erhitzten Lichtkegel. Zu so einer Show gehören
natürlich auch Star-Gäste par excellence. Kuschel-Bernd hat sich auch
heute einen lieben Kollegen eingeladen, mit dem er gemeinsam singt und musiziert.
Ex-Cucumberman Justin Balk schlug bei einem Treffen mit der Band vor, ein Rod-Stewart-Cover
von "Da Ya Think I'm Sexy?" zum Besten zu geben. Reaktion der Band:
"Das ist doch nicht dein Ernst?" Balk: "Doch!" Die Band; "Ja,
gei-i-l!" Und so windet sich der junge Justin zu "If You Want My Body
/ And You Think I'm Sexy / Come On Baby Let Me Know" betörend um den
Mikrofonständer, als sei dieser das lang ersehnte Objekt seiner innigsten
Begierde. Und schwups! Da ist es wieder, das besagte Kinnladen-Problem...
Von Publikumswünschen wie "Bleib Zu Hause Im Sommer", "Fernsehen
mit deiner Schwester" oder "Zweimal Zweite Wahl" angepeitscht,
genießt das schlagfertige Tanzego mit eloquent verschmitztem Lächeln
"Oh, St. Pauli"-Gesänge und zähmt seine improvisationsstarken
Bandkollegen mit den Worten: "Leiser! Die Leute wollen mitsingen." Ein
glamouröses Verständnis von Pop, wildes Augenbrauenzucken, sparsame
Gitarrenakkorde und Spontanmonologe gehören fest zum Programm. Genauso wie
der legendäre und begemanntypische Lokalpatriotismus inklusive Lästerattacke
gegen Berlin-Hauptstädter. Dass bei vermuteten 250 Setlist-Titeln präsentierbare
Repertoire von der Ikea-Falle, über das tieftraurige "Wir träumen
von Liebe", bis hin zum rebellischen "Unsere Liebe ist ein Aufstand"
wächst die gefühlte Zugabenzahl schon mal auf zwanzig.
Doch irgendwann geht auch der schönste Abend zu Ende. Aber nicht ohne berührende
Balladen, überschaubar einfache Akkordfolgen, irres Mundwinkelzucken, schelmisches
Augenkreisen und "Bist du den Richtigen triffst, nimm mich", "Ich
kann dich nicht kriegen, Katrin" oder "Ich habe nichts erreicht außer
dir". Euphorisch lernen auch wir täglich dazu (und werden trotzdem nicht
klug). Eins ist aber sicher: "Unsere Band ist am Ende" trifft definitiv
nicht auf Bernd Begemann und Die Befreiung zu (ein Indiz ist das ausschließbare
Desinteresse der Damenwelt).
Das altersweise "Judith, mach deinen Abschluss" und das idyllische "Kelly-Family-Feeling"-Mitsingpotenzial
haben wir vermisst, aber dafür gibt es ja den monatlich wiederkehrenden "Freitag
der Befreiung" im Knust. Dann nimmt er sich wieder viel Zeit, gibt endlos
Autogramme, umarmt Menschen und macht sie für den Moment glücklich.
Im Gegenzug mutieren hunderte zu Wiederholungstätern und besuchen ihn wieder
und wieder (oder sie schicken jemanden, falls sie im Urlaub sind). Am 11.02.2005
heißt es wieder "Stars! Stars! Stars!" Diesmal mit Niels Frevert,
umschwärmtem "Eveli-i-n"-Sänger der einstigen Nationalgalerie.
Dann werden im Namen der Liebe alle wichtigen und unwichtigen Lebensfragen nachgeholt,
die heute keine Antwort fanden.
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Links:
>> Künstlerinfo Bernd Begemann & Die Befreiung bei POP FRONTAL
>> Homepage Bernd Begemann
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Bernd Begemann & Die Befreiung
Bernd Begemann & Die Befreiung: Unsere Liebe ist ein Aufstand
(Grand Hotel van Cleef / Indigo)
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