Der Regenbogen steht mythologisch für die verschiedenen Strömungen,
Farben und Stämme der menschlichen Kultur. Auch eine Brücke
zwischen Menschen und (Musik-)Göttern soll er sein. So ist also
das diesjährige Motto "Over the Rainbow" für
das größte Hippie-Festival in deutschen Landen bestens
gewählt und gleichzeitig Programm für ein viertägiges
buntes Multikulti-Happening am Fuße des osthessischen
Herzbergs.
Uriah Heep
Wie
fast in jedem Jahr seit 1991 verwandeln sich die gut gedüngten
Pferdewiesen unterhalb der Burg Herzberg auch 2007 wieder in eine
Oase voller Pils und Patschuli, Biowein und Falafel. Astrologische
Notberatung, Kinderland, bunte Basare und Hundegeschnupper kommen
dazu – und über allem liegt dieser betörende Duft
besonderer Rauchkräuter. Love & Peace pur also für die
von Jahr zu Jahr größer werdende Hippie-Kommune. Diesmal
wohnen ca. 12.000 zeitgemäß gekleidete Besucher dem bunten
Treiben bei. So viele wie nie zuvor.
Auch
wenn etliche Besucher nur des einzigartigen Feelings wegen kommen und
sich nie zu den beiden Konzertbühnen aufmachen, gibt es als
"Rahmenprogramm" natürlich auch wieder erlesene
Live-Acts. Weit über 30 Bands sorgen diesmal für ein
rauschendes Fest. Ein Highlight am ersten Festivalabend ist dabei das
Stockholmer Quintett Paatos mit seinem eigenwilligen Mix
zwischen melancholischem Postrock, Folk und Jazzrock. Zur
Geisterstunde spielen schließlich noch die Neo-Progrocker
Quantum Fantay mit eingängigen Rhythmen zum
psychedelisch-epischen Tanz auf.
Am Freitag sind Brezeln, Weißbier und gute Dialektkenntnisse
angesagt. Zuerst servieren Weißwurscht is im
Badehosenoutfit ihre ausgeflippt bunte Mischung aus Balkan-Punk und
Polka-Reggae mit bayrischen Texten, um diese später vom
Liedermacher Hans Söllner, der selbsternannten "Sau
von Berchtesgarden", politisch verfeinern zu lassen.
Zur Festival-Primetime folgt der mit Spannung erwartete Gig der Free-Jazz-Progger Van der
Graaf Generator mit ihren bisweilen schrägen
Free-Jazz-Eruptionen. Leider fehlt dem Trio um Peter Hamill seit dem
Weggang von David Jackson nun deutlich hörbar ihr früher
typisches Saxophon-Soundelement.
Zeit
für eine weitere einzigartige Prog-Legende: Pavlov’s
Dog entern gegen Mitternacht die Hauptbühne. Und David
Surkamp, ewig junger Leadsänger mit faszinierend hoher
Falsettstimme, integriert Ehefrau Sara und Tochter Saylor genauso mit
in seine Band wie zum Ende des Konzertes einen kleinen Kinderchor aus
dem Publikum. Schöne tanzbare Rockperlen wie "Songdance"
wechseln sich im Laufe des tollen Konzerts ab mit wunderschön
traurigen Balladen, z.B. "Julia". In tiefer Nacht tun
sich danach Man, diesmal nur als Trio mit Urgestein Martin
Ace, ein wenig schwer, die Verbindung zu ihren Fans zu finden.
Am Samstag lehrt auf der Freakstage Peter Bursch, Deutschlands
Gitarrenlehrer No. 1, jung und alt, wie man ohne Vorkenntnisse dem
Waschbrett gehörfreundliche Klänge entlockt. Auf der
Hauptbühne kredenzt Gitarrenhero Jeff Aug mit seiner
Akustik-Formation Floating Stone (im Herbst u.a. live mit Anne
Clark zu erleben) zur vorangegangenen Lehrstunde die passenden,
atemberaubenden Live-Loopings.
Ausschließlich
Deutsch wird am Nachmittag auf der Freakstage gesprochen.
Politsongveteran Klaus der Geiger sorgt mit beißenden
Spottliedern oft für Lacher, die im Halse stecken bleiben,
worauf ein scheinbar etwas entrückter Bernd Witthüser
(ja, der Althippie von Witthüser & Westrup!) mit "Komm
lasst uns auf die Reise gehn...." oder dem skurrilen "Rat
der Motten" längst vergessene Kiffergeschichten zu neuem
Leben erweckt. Passend hierzu setzt sich Götz Widmann
anschließend für eine "Zaubersteuer" und
weitere dringend notwendige Reformen des deutschen Alltagslebens ein.
Am
Abend heißt es dann leider auch beim Herzberg Festival, wie bei
fast allen Open-Airs in diesem Festivalsommer, "Land unter"
– Gewitter und stundenlanger Dauerregen verwandeln die Wiesen
in eine einzige Schlammlandschaft. Was Jon Hiseman, Drummer von den
großartig aufspielenden Colosseum zum lakonischen
Statement "Raining weather = Colosseum weather"
veranlasst.
Große
"Easy livin"-Fan-Party anschließend vor der Bühne
bei den Heavy-Veteranen Uriah Heep. Erstaunlich, dass die Band
trotz ansprechender neuer Platten auf dem Festival ausschließlich
Songs aus ihrer 70er-Hochzeit spielt. Während ihr Megahit
"Gypsy" ziemlich blass daherkommt, ziehen sie in "Look
At Yourself" und "July Morning" mit schier endlos
treibenden Gitarrenduellen mächtig vom Leder und jeden Fan in
ihren Bann, um ihren starken Gig schließlich mit dem
unverwüstlichen Gassenhauer "Lady in Black" zu
krönen.
Wegen des Dauerregens folgt nun eine längere Umbaupause, die viele Besucher
für eine leibliche Stärkung nutzen. Mit großer Verspätung betreten
schließlich die gefühlvollen polnischen Progrocker Riverside die Bühne. Von
warmer Lightshow untermalt, spielen sie ein phänomenales, hartes und
zugleich melodisches Set, welches keinerlei Wünsche offen lässt.
Während
die meisten Besucher den Platz im strömenden Regen nun mit ihrem
Schlafsack tauschen, bitten Rainer von Vielen und Orange um 3
Uhr früh zum mystischen Trancetanz bis zum Morgen. "Scheiß
auf den Regen – wir machen Party" ist sein vielbejubeltes
Credo zu Beginn einer fast zweistündigen dampfenden Schlammparty
vor der Bühne.
Ein
weiteres Unikat der Gattung "Was, die Band gibt’s noch?"
zeigt am windig-sonnigen Sonntag seine beeindruckende Visitenkarte:
die noch immer populäre Mittelalter-Folkrockband Ougenweide.
Melodiös einfühlsam wie zu besten "Badehaus"-Zeiten
vor 30 Jahren spielen sie sehr tanzbar humorvolle Weisen aus längst
vergangenen Zeiten. Währenddessen reibt sich Rainer von
Vielen auf der Freakstage den kurzen Schlaf aus den Augen, um mit
dem Trio Kauz seinen zweiten Festivalauftritt innerhalb von 10
Stunden hinzulegen. Ihr Set ist ein stark bewegender Mix zwischen
hinreißendem Kehlkopf-Sprechgesang und starkem Dance-Groove –
Prädikat: "Zieht einem den Boden unter den Füßen
weg".
Großes
Gedränge dann auf der Hauptbühne, die dreizehnköpfigen
17 Hippies sorgen mit brandneuer CD "Heimlich" und
ihrem tanzgerechten Best-Of aus älteren Worldmusic-Songs für
einen groß gefeierten Auftritt. Im letzten Jahr extra für
das Festival gegründet und wegen des immensen Erfolges wieder
zum Höhepunkt des Sonntags erkoren, sorgen die Herzberg Blues
Allstars 007, u.a. mit der Hamburg Blues Band und Barbara
Thompson (sax), Martin Ace (bass), Clem Clempson (git) und
Drum-VeteranPete York für einen fast zweistündigen
furiosen Bluesexzess mit umwerfenden Soli.
Als
stimmungsvoller Abschluss des diesjährigen Kultfestivals folgt
auf der kleinen Freakstage der Auftritt von Embryo, den ewig
tourenden Worldmusic-Pionieren um Urgestein Christian Burchard.
Diesmal in 10-köpfiger Besetzung auf engstem Raum spielen sie
sich vom begeisterten Publikum angefeuert zwischen lang dahin
fließenden orientalischen Improvisationen und wilden
Gitarrenloopings in einen regelrechten Soundrausch hinein.
Fazit:
Auch im Schlammchaos ist das Burg Herzberg Festival eine erfrischend
andere, besondere Festivalperle und hat verdient, im persönlichen
Open-Air-Planer für 2008 wieder vorgemerkt zu werden.