Zum zwanzigjährigen Jubiläum spendierte das ProgRock-Label InsideOut Music sich und den Prog-Fans ein besonderes Live-Erlebnis. Den ersten Aktivposten bildeten The Flower Kings, die sich nach fünf Jahren Sendepause mit einem zwar umstrittenen Album ("Banks Of Eden"), jedennoch unstrittig auf der Blumenwiese zurück gemeldet haben. Gewichtiges Argument Nummer 2 ist die Neal Morse Band. Der Ex-Frontprediger von Spock's Beard wird auf dieser Tour wieder unterstützt vom Ex-Dream Theater-Trommler Mike Portnoy (und nicht wie sonst in Europa von Colin Leijenaar). Ergab in Summe Wucherpfund Nummer 3: Da somit ohnehin schon drei Mitglieder der verflossenen Prog-Supergroup Transatlantic gemeinsam touren, war uns versprochen worden, dass mindestens 30 Minuten der geplanten über drei Stunden Musik transatlantisch sein würden. Und so kam es auch…
Neal Morse
So schön eine solche Vollbedienung auch ist – für die arbeitende Bevölkerung wird es auf dieser Tour in der Woche natürlich arg spät… Die von ihren Fans zärtlich zu "Flokis" verkürzten Blumenkönige gingen mit dem gesehenen Problem so um, dass bereits eine Viertelstunde vor der zuvor verkündeten Startzeit von 20 Uhr in der zu ca. zwei Dritteln gefüllten Halle losgelegt wurde. In der Besetzung Roine Stolt, Jonas Reingold, Tomas Bodin, Hasse Fröberg und Felix Lehrmann (u.a. Rimjob, Yvonne Catterfeld, Michelle Hunziker, Sarah Connor, Blockflöte des Todes) schritt man also zur Tat, wobei es anfangs etliche Probleme gab: So war Hasses Mikro erst nicht offen (Majestätsbeleidigung!), dann viel zu laut, und auch ansonsten wurde der Sound in der ersten Dreiviertelstunde einfach nicht rund.
Die Band ließ sich die offensichtliche Spielfreude davon aber nicht vermiesen und gab ein erlesenes, aus alt und neu zusammengestelltes Set: "Numbers"; die Guru-Schelte "My Cosmic Lover" (mit freundlicher Unterstützung von zwei Musikern der Neal Morse Band an E-Geige und Tambourin); "The Truth Will Set You Free" – grandios wie meist und mit herrlichen Mellotron-Parts und Synth-Solo von Tomas; "Rising The Imperial". Nach "In The Eyes Of The World" war leider schon Schluss, doch versprach Roine wie erwartet, dass man sich noch einmal wiedersehen werde. Zuvor hatte sich Hasse fast zu Tode geposed. Der Mann führt sich bei seinen vergleichsweise wenigen Zutaten zum Kollektivklang auf, als wäre er Jimmy Page und Robert Plant gleichzeitig. Keine Zeile wird einfach nur gesungen, nein, sie wird haarkreisend zelebriert. Kaum ein Akkord wird auf der Linkshänder-Goldtop gegriffen, ohne dass der Künstler dazu in die Knie brechen würde. Von seinem Fender Reverb ist eh wenig zu hören. Umso erstaunlicher, welche satten, angezerrten Klänge sein Arbeitgeber aus einem Orange-Mini-Stack herausholt, der so klein ist, dass man ihn fast auch als Trivial Pursuit-Ecke verwenden könnte.
21:45 Uhr, Auftritt der Neal Morse Band, die allen Ernstes auf ihrer Homepage parallel zur Tour "Worship Services" in Kirchenzentren für Gleichgesinnte Fans anbietet: Meet & Pray statt Meet & Greet sozusagen… Der Prediger war zum ersten Mal seit der ersten Testimony-Tour wieder mit Randy George (bss) und Mike Portnoy unterwegs – ein Schelm, der diesen Umstand auch darauf zurückführt, dass sich Mr. Portnoise zwischen alle sonstigen Stühle laviert hat. Auch dabei: Adson Sodré, Eric Gillette und Bill Hubauer. Hier gingen die Meinungen in der Reisegruppe "Betreutes Proggen" erstmals und kurzzeitig etwas auseinander. Für die meisten schien das Gebotene das reinste Evangelium. Der Dienst habende Schreiberling empfand vieles davon als (gekonnt gespielte) Popmusik, die teilweise mit Texten versehen ist, die man dem Gegenlager gerne und heftig ankreidet. Zwischendurch blitzte aber auch das alte Spock's Beard- bzw. Gentle Giant-Teufelchen durch all die Weihrauchschwaden hindurch. Und es wurde zugegebenermaßen großartig gesungen, auch gerne im Kanon.
So ging das ab: "Momentum"; "Weathering Sky"; "Author Of Confusion"; "The Temple Of The Living God" (…); "Another World" mit drei solierenden Keyboardern; "Sweet Elation", "12"; Entrance", "Inside His Presence" (…); "Thoughts"; "World Without End". Und damit war erfreulicherweise wirklich noch nicht Schluss: Nach kurzer Kunstpause kehrten nur Neal (Piano) und Roine (verhallte Gitarrenschluchzer) für die innigste Fassung des Transatlantic-Stückes "Bridge Across Forever" zurück, die unsereiner je gehört hat. Das allein wäre das lange auf den Füßen bleiben ja schon wert gewesen. Doch es ging weiter: Für das Medley stießen Portnoy und Jonas dazu, letzter hatte keine Mühe, Pete Trewavas zu ersetzen, ja, vergessen zu machen – und nicht nur, durch seine Multi-Begabung auch als Alleinunterhalter und Jongleur. Danach kamen für jedes weitere Schmuckstück weitere Mucker dazu, so dass beispielsweise "All Of The Above" mit Violine und Saxophon bereichert wurde. Weitere Schmankerl: "Overture"; "A Man Can Feel"; Rose Colored Glasses" und schließlich "Stranger In Your Soul" mit allen Musikern auf der Bühne. Vollbedienung. Wirklich voll? "We All Need Some Light" wäre noch schön gewesen. "Mehr Licht", meinte ja schon Goethe. Aber sonst ließ der Abend keine Wünsche offen.