Das Doppelte Interview-Lottchen: Zu einer Twin Headliner-Tour hatten wir das gerne schon mal gemacht (Axxis meets Pink Cream 69). Und wollten es jetzt noch mal "klassisch" tun: Hier wurde die in Rede stehende europaweite Tour bereits aus Sicht der Vorgruppe beschrieben. Lest im Folgenden, wie sich das alles aus Sicht des Top Acts Pain Of Salvation (POS) darstellte. Genauer gesagt aus dem Blickwinkel von deren Ober-Schmerzensmann Daniel Gildenlöw. Ein weiterer, hochwillkommener Anlass für dieses ungemein offene Gespräch war das anstehende One-off Akustik-Konzert am 8. Juni mit Dark Suns in Leipzig.
Daniel, wie war die Tour für Euch, wie fühlt es sich für Dich an, wieder zuhause zu sein?
Daniel Gildenlöw: Was das angeht, fühle ich mich oft irgendwie wie eine Katze - ich will immer da sein, wo ich gerade nicht bin! Daheim sehne ich mich danach, auf Tour zu sein. Und wenn ich es dann bin, wünsche ich mich zurück zu meiner Frau und den Kindern.
Der Aufbruch geschah diesmal in einem noch größerem emotionalen Aufruhr als sowieso sonst immer: Zwei Bandmitglieder hatten sich ja verabschiedet, und ich war gerade dabei, zum dritten Mal Vater zu werden. Insofern waren wir schon am Rande des Wahnsinns, als ich das Angebot zu einer Tournee akzeptierte, die schon fünf Wochen nach dem errechneten Geburtszeitpunkt beginnen sollte. Um das noch zu toppen, entschied sich Morris, zwei Wochen später zu kommen. Und als er da war, überraschte er uns damit, das Down-Syndrom zu haben, so dass wir drei Wochen mit ihm im Krankenhaus bleiben mussten, während ich hin und her schoss, um die Logistik zu bewältigen und mich auch noch um Sandrian (5) und Nimh (2) zu kümmern. Es war wirklich eine überwältigende Zeit. Also, falls Du nicht schon mitgerechnet hast: Diese drei Wochen haben alles an Reserven niedergemacht, was wir sonst vor der Tour noch gehabt hätten.
Auf der anderen Seite ist es einfach sehr "dankbar", auf Tour zu gehen. Man wird doppelt beschenkt: Erst empfangen Dich Deine dankbaren, getreuen Fans (und erinnern Dich daran, wie viele wunderbare, einfühlsame Menschen es dort draußen doch gibt). Dann kommst Du zurück nach Hause. Und das ist derzeit eine besonders wunderbare Erfahrung, wo ich von Johanna und diesen drei wunderschönen Kinder begrüßt werde. Ich glaube, dieses Gefühl ist nicht wirklich zu toppen. Es ist, wie auf eine herrliche Art das Herz gebrochen zu bekommen.
Natürlich haben wir auch unsere Ex-Bandmitglieder (Johan Hallgren and Fredrik Hermansson) vermisst. Aber auf der anderen Seite hatten wir diese zwei neuen (Ragnar Solberg von Sign und Gustaf Hielm von Meshuggah), die extreme gute Musiker und nette Menschen sind. Insofern hat uns der ganze Wirrwarr am Ende gestärkt und voller Energie zurückgelassen. Vielleicht hat der eine oder andere Fan, der etwas davon im Vorfeld mitbekommen hat, sogar befürchtet, von der Show enttäuscht zu werden. Aber den Gefallen konnten wir ihnen einfach nicht tun (lacht).
Simon (Moskon) hat mir aus seiner Sicht erzählt, wie Cryptex an diesen attraktiven Support Slot gekommen sind. Wann hast Du zum ersten Mal von diesen verrückten Deutschen gehört - und was hast Du zu dem Zeitpunkt darüber/über sie gedacht?
Daniel Gildenlöw: Ursprünglich waren für diese Tour die >> Von Hertzen Brothers vorgesehen. Als das aus rechtlichen bzw. Tantiemen-Gründen nicht klappte, was die gesamte Tour gefährdete, empfahl uns unsere Booking-Agentur Dragon Productions u.a. Cryptex. Dies war ungefähr in der Hälfte des Aufruhrs, den ich Dir schon angedeutet habe. Wir haben auf die Schnelle die Bands gecheckt, die interessiert an der Tour waren. Cryptex waren definitiv die interessantesten darunter. Aber um ganz ehrlich zu sein: Wie interessant sie wirklich sind, habe ich nicht kapiert, bevor ich sie live gesehen und gehört habe. Sie sind uns wirklich mit jedem Tag auf Tour mehr ans Herz gewachsen - musikalisch und menschlich. Ich bin mir sicher, dass sich unsere Wege wieder kreuzen werden!
Simon gab ein wirklich besonders positives Resümee nicht nur zur Tour. Sondern ganz besonders dazu, wie Cryptex von Dir, von POS und ihrem Team behandelt wurden. Dabei nannte er ausdrücklich Tourmanagerin, Backliner, Soundleute, Gitarrenroadies... Er sagte auch, dass Ihr ihnen verlässliche Auftrittszeiten und -längen und praktisch keine Beschränkungen bei Licht und Sound gegeben habt. Wenn Du mal zurückschaust - wie ist POS selbst als Vorgruppe behandelt worden (z.B. seitens >> Dream Theater?) Hat es damit etwas zu tun, dass ihr heute Eure Support Acts so fair behandelt?
Daniel Gildenlöw: Es war immer schon leicht, mit uns klar zu kommen - ich glaube, es liegt daran, wie wir aufgewachsen sind. Es ist einfach, wie wir sind und nicht Teil eines Vorsatzes oder das Ergebnis davon, wie wir selbst behandelt worden sind. Tatsächlich hat man uns selbst aber nie übel mitgespielt. Allerdings kann es wirklich sein, dass wir unsere Vorgruppen weniger als Vorgruppen behandeln, als andere Headliner das tun.
Abgesehen davon, eine Erziehungsfrage zu sein, könnte es auch mit einer gewissen selbstbewussten Ruhe zu tun haben: Wir wissen genau, was wir machen wollen und können uns ganz auf das verlassen, was wir auf der Bühne abliefern. Wir brauchen einfach nicht 30 dB mehr Lautstärke oder doppelt so viel Licht, um das Publikum davon zu überzeugen, dass wir das Highlight des Abends sind (lacht).
Wann war das letzte Mal, dass Du Lampenfieber hattest?
Daniel Gildenlöw: 1988! Wir hatten uns für Rock-SM qualifiziert (>> alljährlicher schwedischer Bandwettbewerb). Wir waren 15 - und unser erster echter Gig fand vor 1.000 Menschen statt! Wir traten also in der "Unter 20"-Kategorie an. Alle anderen in dieser Kategorie waren natürlich 19… Ich hatte mir überlegt, dass ich mein Solo auf den Knien spielen würde. So kam es auch. Wenige Wochen später, bei einem Auftritt an unserer Schule, wollte ich es all-inclusive machen und spielte das Solo hinter meinem Nacken - Mann, das waren die Achtziger! Vor dem Rock-SM-Auftritt saßen wir also mit total grünen Gesichtern backstage. Ich erinnere mich genau, dass an irgendeinem Punkt der Satz "Scheiße, lasst uns nach Hause gehen" gesagt wurde. Das war zwar nicht ganz wortwörtlich gemeint, zeigt aber doch, wie wir uns fühlten. Das miese Gefühl hielt bis auf die Bühne und bis zur Ansage durch den Moderator an. Aber sobald wir auf der Bühne unsere Instrumente anfassten, fühlte ich mich entspannt. Und begierig auf mehr…
Es war, wie mein wahres Element zu finden, wie nach Hause zu kommen. Ich hab übrigens die Auszeichnung als "Bester Sänger" gewonnen. Der Preis bestand aus einem Paar Schuhe, der eine war rot, der andere weiß. Am nächsten Tag erschienen wir alle wieder brav im Unterricht - schon um uns die Kommentare unserer Klassenkameraden anzuhören. Danach wurde uns allerdings sofort wieder total schlecht und unsere Nerven ratterten wieder, wie vor dem Auftritt. Doch nach dieser Nummer war ich mein Lampenfieber los!
Trotzdem will ich mich vor einer Show irgendwie auf Zack fühlen, aufgepeitscht, ein wenig nervös. Ich springe vor Auftritten, rase backstage hin und her. Manchmal boxe ich mich sogar in den Magen oder gegen die Arme. Ich will auf Messers Schneide stehen, wenn ich die Bühne betrete. Am nächsten an Lampenfieber gerate ich, wenn es mir mal nicht gelingt, mich so in Form zu bringen. Ich brauche diesen Hunger. Auf Tour gehe ich jede Nacht auf die Bühne und suche Magie. Irgendetwas Neues, noch Unentdecktes. Etwas, das mich berührt und bewegt. Das mich erreicht, vielleicht auch durcheinander bringt. Ich wünsche mir, dass mich jede Show irgendwie verändert.
Aus gewöhnlich gut unterrichteten Kreisen verlautet, dass bei der letzten Show der Tour in Stockholm gegenseitig jede Menge Streiche gespielt wurden - bis hin zur "Sabotage" von Léos Drumkit. Ihr sollt sogar bei der herrlichen Cryptex-Nummer "Alois" als Überraschung mitgesungen haben? Was hast Du zu Eurer Entschuldigung zu sagen!?
Daniel Gildenlöw: (lacht) Es ist nun einmal ein ungeschriebenes Gesetz: Solche Zutaten gehören zur letzten Show einer Tournee! Die Crews verarschen die Bands und der Headliner veräppelt gewöhnlich ein wenig die Vorgruppe. Aber nicht bis zu dem Punkt, wo es den Auftritt wirklich gefährdet… Ich erinnere mich immer noch an 2002, als Dream Theater während eines unserer Stücke in unser Monitor-System ABBA gesungen haben… Oder daran: Als vor einiger Zeit Beardfish für uns eröffnete, haben wir es geschafft, uns auf die Bühne zu schleichen und uns unter Léos Drum-Podest zu verstecken, das der Beardfish-Drummer auch benutzte. Wir verbargen uns da für zwei ganze Stücke! Der dann folgende Song begann mit Schlagzeug. Dabei tauchten wir also auf: Léo fing auf einmal an, das Stück mitzuspielen. Und der Rest von uns hat das Publikum und natürlich Beardfish mit Süßigkeiten aus einem Zwei-Kilo-Sack beworfen!
Ich persönlich hatte mich beim letzten Song dieser Tour am meisten darauf gefreut, bei "No Way" auf der Bühne ein paar Gitarren zu zerkloppen. Wir hatten uns überlegt, dass es bei diesem Song total atypisch und "falsch" sein würde: Eine Prog-Band, die Gitarren zerlegt. Doch Ragnar, Gustaf und ich sind nun mal auch mit Kiss sozialisiert. Insofern war das Bedürfnis einfach da - und das schon seit unseren frühesten Musikertagen (lacht). Gustaf besorgte ein paar preisgünstige Einsteigerinstrumente. Und wir dachten, dass die für einen Song schon ausreichen würden. Aber nichts da: Nach dem ersten Refrain waren alle drei verstimmt. Und nicht nur so ein wenig - bei meiner lockerte sich sogar der Hals! Weil ich eine starke Beziehung zu Musikinstrumenten habe, hatte ich ursprünglich die Sorge, dass ich es nicht über mich bringen könnte, eine Gitarre wirklich zu zerstören. Aber durch die totale Verstimmung und die offensichtlich schrottige Qualität der Klampfe ergab es sich dann doch noch ganz natürlich (lacht).
Es macht mich nur traurig zu wissen, dass viele Kids heutzutage wirklich auf solchem Schrott spielen müssen, wenn sie lernen wollen, Gitarre zu spielen. Meine ersten Gitarren waren zwar billige und unbekannte Marken. Aber sie haben vollständig funktioniert und stehen selbst heute noch meilenweit über diesen besaiteten Abscheulichkeiten! Ich begreife einfach nicht, wann es OK geworden ist, totalen Mist zu verkaufen, solange nur jemand dafür zu zahlen bereit ist.
Wie ist es planerisch zu der one-off Akustik-Show gekommen, die uns >> am 8. Juni in Leipzig bevorsteht?
Daniel Gildenlöw: Ganz einfach - man hat uns gefragt. Und da wir alle diese "außer der Reihe"-Shows lieben, haben wir gerne zugesagt.
Erwartet uns da eine aktualisierte Fassung der >> 12:5-Sessions? Was ist das Besondere an "unplugged"-Auftritten?
Daniel Gildenlöw: Wir planen keine Wiederholung von 12:5. Aber ich möchte schon, dass der Auftritt mit der Musik in der gleichen Weise umgeht, wie 12:5 das getan hat. Also ein frischer Blick und Neuverhandlungen des alten Materials. Idealerweise kommt dabei ihre wahre Natur zum Vorschein. Was die Setlist angeht: Wir haben uns noch nicht dafür zusammengesetzt. Insofern weiß ich ungefähr genau so viel wie Du dazu, wie die aussehen wird. Akustikgigs sind verführerisch, weil sie die Gelegenheit dazu geben, alles umzuarrangieren. Manche Stücke werden in diesem Kontext schlichter "Nacktheit" sichtbarer. Manchen tut das gut: die Gesangslinien werden deutlicher, die Strukturen deutlicher. Es kann wie ein schönes Röntgenbild sein (lacht).
Was ist beim "Kingdom Of Loss" als Nächstes geplant?
Daniel Gildenlöw: Meinst Du die Homepage?
Eigentlich nicht, aber mach mal!
Daniel Gildenlöw: Die heißt ja schon nicht mehr "Kingdom Of Loss". Sie hieß eine Zeit lang "Walk With Me" und jetzt P A I N O F S A L V A T I O N d o t c o m.
Ich möchte sie diesen Sommer total überholen - komplettes Redesign und Relaunch, mit vielen neuen Features. Was informative (im Gegensatz zu Unterhaltungs-) Medien angeht, bin ich immer zwischen Originalität und Nutzerfreundlichkeit hin und her gerissen. Beispielsweise die Lesbarkeit ist nun einmal am besten, wenn man sich an die üblichen Normen hält. Aber ich werde bekloppt, wenn wir zu üblich dabei werden. Da ich auch Kompromisse hasse, kann ich in dieser Frage nur verlieren.
Auf der anderen Seite freue ich mich auf den Wechsel und die Herausforderung. Johanna und ich sind gut mit einem Designer und Journalisten befreundet. Der wird im August für ein paar Tage vorbeikommen. Dann werden wir das in guter alter Workshop-Manier mal angehen. Stark vermutlich werden wir für diese Aufgabe nennenswerten Mengen von Reden, Tee, Kaffee, Kartoffelchips und Rotwein benötigen. Also - wir sehen uns alle dort, wenn es geschafft ist!