Trotz einiger weniger Rückschläge künstlerischer Natur und unvollkommener
Kondition seitens des Rezensenten demonstrierte das diesjährige ProgPower
Europe die grundsätzlich positive Weiterentwicklung des gar nicht mehr so
kleinen und dabei immer feiner werdenden Festivals in Baarlo, Niederlande. Was
die Besucherzahlen angeht, dürfte das PP in diesem Jahr den Durchbruch geschafft
haben: Im Gegensatz zu den Vorjahren war die mittelgroße Mehrzweckhalle
diesmal schon ab mittags ordentlich bis spektakulär gefüllt. Und noch
mehr Publikum, als es zu den jeweils (vor-)letzten Bands anwesend war, ist in
der Halle vermutlich ohnehin ohne Luftabsaugung kaum unterzubringen. So bedankte
sich die Fangemeinde wohl vor allem für ein abermals ausgewogenes, teils
erfreulich überraschendes Billing.
Epica
Erstmals waren wir sogar schon am Vortag des Festivals angereist, also zum seit
einigen Jahren angebotenen "Burn-in" Mini-Festival auf der kleinen Kellerbühne
des Jugendzentrums. Was sich allerdings nur teilweise bewährte. Zwar gestattet
ein solcher Vorabend natürlich in größerer Ruhe einen Schwatz
mit den Veranstaltern und mit teils seit vielen Jahren in Baarlo anzutreffenden
PP-Veteranen. Die musikalischen Gäste des Abends aber kamen wohl nicht nur
bei uns weniger gut an: Die niederländischen Timeline hatten
nicht nur unter der konkurrierenden (irren) Lautstärke der Techno-Disco im
Nebenraum zu leiden, sondern auch unter Soundproblemen, starken Verstimmungen
zwischen Gitarre und Keyboards sowie dem generell unseligen Wirken ihres Sängers.
Das ist schade, denn etliche der Stücke präsentierten tolle Ideen: besonders
die Anfänge waren häufig wirklich vielversprechend, nur um alsbald wieder
zerpflückt zu werden.
Die italienischen Mind Key hatten zumindest den Vorteil, sich
auf eine unüberhör- und -sehbare Fanbase stützen zu können,
die sich teils lustig bis karnevalistisch verkleidet hatte, sich zu Stücken
wie "Eye Of A Stranger" schier die Hände blutig zu klatschen drohte,
kleine Polonäsen im Publikum aufführte, etc. Neben diversen Cover-Versionen
(Toto, Dream Theater, aber auch Whitesnakes "Still Of The Night") fiel
besonders "Lord Of The Flies" mit seinem starken Reggae-Teil positiv
auf. Soweit das der Gesundheitszustand des Berichterstatters eben zuließ.
Während die Umstehenden nur mehr oder weniger vom Prog-Virus befallen erschienen,
ließ es sich nun nicht mehr verhehlen, dass der Rezensent sich ein beharrlich
steigendes Fieber eingefangen hatte.
Das wir ab Samstagmittag mit dem ProgDeath von Disillusion aus
Leipzig zu behandeln versuchten. Dass es zu keiner Spontanheilung kam, lag eindeutig
nicht an der nach einem Orchesterintro vom Band gebotenen, so eigenständigen
wie phantastischen Mixtur aus Thrash und Death sowie Prog Metal. Von Konserve
kam bei diesem Trio wider Willen neben den Keyboards auch der übrigens hervorragend
(von Sänger/Gitarrist Vurtox) gespielte Bass, was bei der komplexen, breakreichen
Musik nicht zuletzt gewaltige Anforderungen ans Timing stellt. Ohne dass das Disillusion
zu beeindrucken schien, die mit viel echt wirkender Spielfreude das Allerbeste
aus der Situation machten. Sehr viel besser mit der Band vertraute Disillusion-Fans
teilten uns freundlicherweise mit, dass man auf der Tour mit Dark Suns mit diesen
gemeinsam zu acht auf der Bühne gestanden habe. Leicht vorstellbar, dass
die epischen, teils symphonischen Passagen von "Alone I Stand In Fires"
oder "Back To Times Of Splendor" so nochmals stärker rüberkommen.
Ohne dass dem Publikum in Baarlo irgendetwas zu fehlen schien. Im Gegenteil: Ein
Stück wie "The Sleep Of Restless Hours" wirkte live wie eine entfesselte
Mischung aus Gamma Rays "Heading For Tomorrow" (enorme Steigerung) mit
der Energie von Bloodbath. Und wurde entsprechend gefeiert.
Langsam schien das Blut den dumpfen Schädel in eine Art Schnellkochtopf zu
verwandeln, auch das führte dazu, dass der Quengelgesang (dem Vernehmen nach
nicht vom etatmäßigen Sänger. Zugegeben) und biedere Pomprock
von Anubis Gate (als Ersatz für Novembers Doom) nicht lang
über das Intro hinaus zu ertragen war.
Auch bei Throes Of Dawn kamen die Keyboards vom Band, überdies
nutzte das Quintett erstmals die neuen multimedialen Möglichkeiten, die sich
durch den großen Bildschirm rechts von der Bühne ergeben. Zu Videozuspielungen
wie Metzeleien aus den Schützengräben des ersten Weltkriegs, Szenen
aus Isolationszellen, herumkriechende Würmer, fiese Insekten und Injektionsspritzen
tischten die Finnen teilweise stark an My Dying Bride erinnernden Gothic Metal
"mit Eiern" auf. Für etwas mehr Wärme sorgten dabei die verschlungenen,
zweistimmigen Linien der beiden Les Paul-bedienenden Gitarristen.
Die israelischen Folk Metal-Grenzgänger von Orphaned Land
bildeten für viele PP-Besucher einen, wenn nicht den Höhepunkt zumindest
des Festivalsamstags. Sie sehen gut aus (wie uns gerade mehrere weibliche Progfans
überdeutlich zu verstehen gaben), sind vielseitig, virtuos, wirken dabei
aber nicht abgehoben, sondern immer positiv von den Publikumsreaktionen überrascht.
Großes Kino war das mit Gast-Grunzer Paul Baayens von der niederländischen
Death-Institution Thanatos gebotene Duett und die sich nahezu spontan ergebenen
"audience participation parts". Insgesamt ein erfrischender Auftritt,
bei dem die (allein schon aufgrund der hier verwendeten zig Instrumente) größere
Komplexität der CD-Versionen von z.B. "Mabool" nicht vermisst wurde.
Zumindest die einheimischen Fans waren endgültig von den Socken, als zum
Abschluss sogar in relativ gut verständlichem Niederländisch der Schmachtfetzen
"En Eigen Huis" von Rene Froger gebracht wurde. Ein nicht unpassender
Beitrag seitens einer Band, die sich wirklich glaubwürdig für die israelisch-arabische
bzw. palästinensische Völkerverständigung einsetzt.
Green Carnation bleiben eine sichere Live-Bank. Auch sichtlich
gezeichnet von einer strapaziösen Autoanreise, auch mit personellen Umbesetzungen
und einem eher schwächeren aktuellen Album konnten die Norweger nach kurzer
Eingewöhnungsphase zu 100 Prozent überzeugen. Eine vollständige
Fassung von "Light Of Day - Day Of Darkness" gab es zwar nicht, dafür
aber knackige Versionen von u.a. "Just When You Think It's Safe", "The
Quiet Offspring" (definitiv stärker als von Platte), "The Boy In
The Attic" (sehr eindringlich) oder "Into Deep". Schade nur für
Tchort & Co., dass auch dem Soundmann vor Begeisterung die Regler entgleisten
und der Livesound unerträglich laut geriet.
Den folgenden versöhnlichen bis süßlichen Tönen von Epica
fühlte sich unsereiner leider schon rein körperlich nicht mehr gewachsen.
Vertrauenswürdige Gewährsleute berichten jedoch von einem u.a. von zahlreichen
Ventilatoren geprägten Auftritt von Mark Jansen (ex-After Forever) und Mezzosopranistin
Simone Simons, bei dem allerdings irritierte, dass sämtliche Kommunikation
mit dem wie immer recht internationalen (nämlich diesmal aus 19 Ländern
kommenden!) Publikum nur auf Niederländisch geschah.