Auch der dritte Festivaltag begann wolkenlos und brachte ab mittags deutlich sommerliche Temperaturen. Sogar der "Pool" - ein mit Leitungswasser gefülltes Aufblas-Planschbecken - wurde im Laufe des Tages von Mutigen oder gar nichts mehr Spürenden bemannt. Nichts bereitete auf die Tragödie vor, die sich wenige Stunden nach Ende des Festivals ereignen sollte... Zunächst aber war bei uns der Abschied von den netten Dänen von Intromental (Management-Agentur von Kingcrow und Redemption) angesagt, mit denen wir in der Samstagnacht - eigentlich eher unfreiwillig - die Stube geteilt hatten.
Sole Remedy
Wieder am Sjiwa angelangt, erwartete die PPE-Gemeinde ein ähnlicher Effekt wie bei Schizoid Lloyd am Samstagmittag: Auch Sky Architect mussten eröffnen, auch sie sind Niederländer, und auch sie könnten durchaus Anspruch auf das Label "komplexeste Musik des Billings" erheben. Das Quintett um Sänger/Gitarrist Tom Luchies (mit der Herbie-blauesten Tele, die man je sah) hat nicht die geringste Mühe, die nicht zuletzt rhythmisch ungemein anspruchsvollen Longtracks ihrer mit Kritikerlob überhäuften Alben "Excavations Of The Mind" und "A Dying Man’s Hymn" live zu reproduzieren. Doch die Hutfans haben Mühe, ihr Publikum zu behalten. Mitten in einer zur Abwechslung mal besonders träumerischen Passage erschallen barsch-banausige "Rock’n Roll!"-Rufe vor der Bühne, und manch einer verlässt schon während des herrlichen "Charter" kopfschüttelnd das Jugendzentrum. Am federnden Rhodes vom barfuß spielenden Keyboarder Rik kann das eben so wenig gelegen haben wie am auffallend transparenten Sound. Vielleicht eher an den auch gelegentliche Kakophonien nicht scheuenden, rasenden Parallelen. Oder an den Gentle Giant-verdächtigen Synkopen von "Excavations". Man könnte auf die Idee kommen, dass es für den vollkommenen Architekturgenuss noch mehr als bei anderen Bands hilft, die Musik vorab zu kennen. Vielleicht sogar fast unverzichtbar ist. Bei "Woodcutter’s Vile" und "The Breach" hilft genau wie auf "Hymn" auch schon Maartje Dekker mit hörenswerten Gesangspassagen aus, doch auch das brachte die enttäuschten Metal-Anbeter nicht aus der Sonne zurück. Selbst Schuld.
Memento Waltz. Wieder Italiener bzw. Sarden. Und wieder eine spannende Band, von der man nichts kannte, von der man - außer auf der PPE-Homepage - auch noch nie gehört hatte. Ihr Sänger, ein haarloses Albino, erinnert manchmal an Devin Townsend. Auch der Memento-Bassist schleppte sich an einem sechssaitigen Bandscheibenmörder ab - konnte sich dadurch aber soundtechnisch einigermaßen durchsetzen. Denn die Musik schien wie eine schrillere Ausgabe von Spiral Architect, Stücke wie "Antithesis Of Time", "Cosmic Illusion" (mit irrem Flageolett-Spiel auf dem Bass) oder "Brain Journey" leben vor allem von den Tapping-Orgien des Gitarristen und den wüst alles zerlegenden Breaks. Apropos - der Memento-Schlagwerker ist der dritte Drummer, dem das bereits erwähnte Pearl-Kit beim Gig auseinander fliegt, so dass es bei laufender Vorführung gefixt werden muss. Das gelingt aber.
Der folgende Gig von Sole Remedy ist im Lichte dessen, was nachher geschah, kaum noch objektiv zu behandeln. Man erinnert sich an eine sympathische Truppe, die offensichtlich jede Menge Spaß hatte und diesen auch verbreiten konnte; an einen Wunschtitel, das schöne "Wolve In Me", das für René Janssen zum Besten gegeben wurde; an sehr abwechslungsreiches Material zwischen Melodie und Härte; an kräftige Growls; daran, dass auch der Remedy-Keyboarder verliebt mit einem MacBook hantierte, wie so viele seiner Kollegen - dass er es aber genauso gerne verließ, um dann wie ein Springteufelchen herum zu hüpfen, am liebsten vom Drumriser runter. Irgenwann hielt es ihn nicht mal mehr auf der Bühne, und er musste vom Publikum aus weiterbangen. Und man erinnert sich an großartiges Riffing von Mikko und seinen Saitenkomplizen...
Mit den gleichfalls italienischen Kingcrow wurde jetzt erstmal ein wenig Highspeed aus der Veranstaltung rausgenommen. Das eröffnende "Evasion" vom "Phlegethon"-Album hat zwar harte Riffs, aber - wie das meiste Material der Monarchen - ein eher getragenes Tempo. Weiter ging es mit "Island", "Numb" (langsamer Longtrack), "Lovocaine" (mit schönen orientalischen Harmonien und Tanzrhythmik), "Timeshift", "Washing", "Fading Out Pt. III" (interessante Akustik-Parts) und natürlich "Phlegethon". Auffallend noch, was für ein Bühnentier der Krähensänger Diego doch ist - teils agierte er wie ein Zwei-Meter-Gockel - toll! In Summe aber leicht verträgliche Kost. Und somit genau das, was man nach einem harten Prog-Sonntag braucht.
Vor allem, wenn die Kräfte noch für Mekong Delta reichen müssen. Diese deutsche ThrashProg-Legende hatte der Autor selbst dem Festival-Veranstalter mehrfach empfohlen und auch die Verschickung von Promos arrangiert. Da sie nun endlich wirklich spielten, waren sie auch einer der Hauptgründe, das Festival wieder zu besuchen. Sänger Martin LeMar (u.a. Lalu) begann das Set auf die denkbar riskanteste Weise: a capella. Doch ein Sänger, der nicht nur den Autor positiv an Daniel Gildenlöw erinnert, kann sich auch das offensichtlich leisten. Ebenso wie der "Mummenschanz mit Mönchskutte & Co."-Auftritt von Mastermind Ralf Hubert - er bespielt seinen Headless-Bass mit (fingerbeschnittenem) Handschuh! Die aktuelle Mekong-Besetzung spielt mit chirurgischer Präzision und schneidend klarem Sound. "Eine der tollen Sachen daran, der Sänger von Mekong Delta zu sein, sind die Instrumentals", scherzte Martin noch im Abgehen. Denn jetzt kam "The Hut Of Baba Yaga", bei dem Guitar-Tappings die Keyboard-Triller der EL&P-Version ersetzten! Doch auch das konnte die Truppe noch toppen: "Shades Of Doom" (oldie, but thrashy goldie), ein nochmal das Tempo anziehendes "Immortal Hate" (von "Lurking Fear") und das prächtige "5th Element" vom aktuellen Album "Wanderer On The Edge Of Time". Leider mussten nun auch wir wandern, denn ein unaufschiebbarer Termin an der Heimatfront erforderte jetzt unsere Abreise - noch vor dem letzten Sonntags-Act, den wunderbaren Redemption mit Ray Alder.
Im Laufe des Montags nach dem Festival tauchten im Internet die entsetzten Botschaften zum Tod vom Sole Remedy-Gitarristen Mikko Laine auf. Er starb erst 30-jährig auf weiterhin rätselhafte Art und Weise beim Abbau nach dem Festivalende. Er wurde anscheinend an einem Zaun schlafend von einem LKW überrollt, der Equipment der Band geladen hatte. Obwohl fast alle Verlautbarungen unisono von einem zurücksetzenden Truck sprechen, beharrt ein Augenzeuge darauf, der Lastwagen sei vorwärts gefahren. Im Kasten findet ihr die Auskunft, die uns René Janssen gab, der sichtlich immer noch geschockte Festivalchef. RIP Mikko.
Inzwischen steht aber fest, dass es auch 2012 wieder ein PPE geben wird. Für den 5. bis 7.10.2012 hat René bereits gebucht: Vandenplas, Nightingale, The Levitation Hex und Fracture.
René Janssen, ProgPower Europe:
Our brother in arms, guitarist Mikko died in a terrible accident hours after the Progpower Europe 2011 show. Mikko was a vibrant, happy and funny person with lots to offer to the world. We had the best times with him and we?ll be remembering him with warmth and smiles on our faces, hope you do too!
We are still recovering from the tragedy, unbelievable this happened. What really happened? The truck for transporting all the sound and light equipment parked as close as possible to the backstage area. After 45 minutes they were ready and the driver asked everyone to move aside from the truck. All people did and some checked if all was clear. When everyone moved to a safe spot, the driver started driving the truck slowly. After a couple of meters some people saw Mikko laying down behind the truck, covered in blood. Some crew members were screaming, the truck diver stopped, in a few minutes we realized what happened. For some unknow reason, and we never will be sure why Mikko was there, Mikko felt asleep between the truck and the fences that cover the Power Pack we use for the extra electricity we need at the festival. No one could have seen Mikko, so no one can be blamed for what happened. When I write this I still can't believe it happened.
In memory of Mikkko we organize a special evening at Sjiwa on Saturday 29 October, open for everyone interested. We decided to make commemorative stone, it will get a place forever at Sjiwa, close to where Mikko died. We hope the stone will be ready on 29 October. On this evening we will play the Apoptosis album and people are able to sign the condolence book and a condolence card we will sent to Finland.