Aus den offiziellen Statistiken: Über 130 Hektar Acker, sensationelle 37.000
Besucher mit Tickets, 64 Bands, fünf Bühnen, 1.000 Helfer, 500 Security-Mitarbeiter,
330 Sanitäter (und 1.800 Erstversorgungen sowie ein Krankenhaustransport
per Helikopter) und 150 Ordnungskräfte der Polizei, 500 Dixies, 1.500 Fotografen
und Schreiberlinge – war da sonst noch was? Ach ja - es mag das persönliche
Schicksal von ebendiesen letztgenannten Leuten sein, die ohnehin recht viel auf
Konzerte gehen und auch nicht zum ersten Mal beim W:O:A sind: aber über all
diese Superlative hinaus gibt's hier praktisch keine Überraschungen mehr.
Das Festival ist längst so etwas wie ein (gottlob) immer perfekter organisiertes
Dorftheater geworden, bei dem sich alle zwei bis drei Jahre spätestens die
Gastensembles, öhm, Bands abwechseln.
Wirklich mit Spannung erwartet wurde allerdings ganz allgemein der traditionelle
Vorabend des eigentlichen Festivals, die "Night To Remember", da man
sich hier zum zweiten (und letzten?) Mal die Böhsen Onkelz als Highlight
erkoren hatte - als Vorboten ihrer (nach eigenen Angaben) Abschiedstournee. Für
die Onkelz-Fans, welche prompt die größte Anzahl von Menschen rekrutierten,
die jemals ein Tagesticket fürs W:O:A erworben haben, offensichtlich ein
Leckerbissen. Für viele andere Anlass zu dann doch unbegründet gebliebenen
Sorgen um den Charakter des Festivals. Doch vor diese Erfahrungen hatten die Götter
noch über zwei Stunden Anstehen am Presse-Check-In bei Bratapfeltemperaturen
sowie zwei weitere Bands gesetzt. Der Schweinerock von Zodiac Mindwarp setzte
pünktlich Schlag 18 Uhr ein. Sänger Mark Manning klingt immer noch etwas
wie ein desorientierter Graham Parker, das Publikum freute sich über den
Beginn der Metal-Spiele, aber auch nicht viel mehr, soweit für uns erkennbar.
Ebenfalls weniger Metal als Rock'n Roll die zweite Band des Abends: Motörhead.
Ihr Auftritt war ohne jede Frage hochroutiniert und motiviert (wie ja auch die
launige Pressekonferenz zuvor schon hoffen ließ), allerdings fällt
es ein wenig schwer, bei einer bereits zweistelligen Anzahl von miterlebten Lemmy&Co-Auftritten
noch ungläubiges Kinderstaunen ob deren immer gleicher Strickmuster zu produzieren.
Aber dafür kann die Band natürlich wenig, die mit dem Sex-Pistols-Cover
"God Save The Queen" ihre Maxi-Single bewarben und mit Liedwidmungen
an Joey und Dee Dee Ramone Sympathiepunkte sammelten. Ansonsten halt ein grundtypischer
Motörhead-Gig.
Und nun gehörte die Bühne für rekordverdächtige mehr als zweieinhalb
Stunden jenen teils verhassten, überwiegend aber abgöttisch geliebten
Verwandten, für die ein Großteil der am Donnerstag das Infield bevölkernden
Zehntausende gekommen war – den Böhsen Onkelz. Tatsächlich war
es dieses Jahr wohl am Donnerstag schon so voll wie im Vorjahr bei Slayer. Für
manche indiskutabel wegen ihrer rechtslastigen Vergangenheit, für andere schlicht
musikalischer Auswurf und für ihre Fans, die das sogenannte Abschiedsalbum
"Adios" gerade in die Charts gekauft haben, das reine Evangelium. Etwa
4.000 der Besuchermassen erklärten sich übrigens dadurch, dass Besucher
des letztjährigen hochpreisigen Rolling-Stones-Gigs in Hannover auf Betreiben
der Band Umtauschtickets für dieses Zusatzkonzert erhalten hatten.
Mit der Wacken-Pressekonferenz 2003 beginnend und bis zuletzt nicht verstummend
hatte es bei Medien und Besuchern Befürchtungen gegeben, dass sich die Onkelz-Fans
mit den "normalen" Wacken-Verrückten nicht vertragen könnten
und dass es daher Auseinandersetzungen geben könnte. Diese Nervosität
war auch noch am Donnerstag an einem zwar massiven, sich aber dezent im Hintergrund
haltenden Polizeiaufgebot ablesbar, das sonst beim W:O:A nahezu unsichtbar bleibt.
Tatsache aber ist, dass Rezensent zwar seine erste Hauerei beim sonst erzfriedlichen
W:O:A just bei diesem Gig miterlebt hat, man aber keinesfalls von einer generellen
Klimaveränderung oder Massenschlägereien sprechen kann. Im Gegenteil:
ab einem gewissen Zeitpunkt schien es überhaupt nur noch Onkelz-Fans auf
dem Gelände zu geben. Bei "Reicht mir die Hände" von "Finde
Die Wahrheit" bekam Kevin Russel jedenfalls nahezu alle aufbietbaren Pfoten
entgegengereckt.
Das ist aber auch einfach geschickt gemacht: mit einer keinerlei Hürden aus
Komplexität oder Musikalität zwischen sich und die Hörer legenden
Rummtata-Mitgröhl-Mucke und einem in vielen das Gefühl "Das kann
ich auch!“ erweckendem Mikromann sowie vor allem diesen permanent das "Wir
stehen zwar am Rand der Gesellschaft, aber in fest geschlossenen Reihen"-Gefühl
schürenden Texten. "Mit dieser Band hast Du nicht viele Freunde, doch
die, die Du hast, teilen Deine Träume! Die, die Du hast, teilen alles mit
Dir" (aus "Danket dem Herrn") haben sie es geschafft, sich eine
Basis aufzubauen, welche die bösen Verwandten reliquienhaft dafür verehrt,
dass diese ihnen predigen, sich von niemandem etwas predigen zu lassen. Auffällig,
dass sehr viele der Onkelz-Supporter in größeren Trupps mit einheitlicher
Uniformierung auftraten, doch auch ganze Familien aus Vater, Mutter und zwei gerade
mal 6-jährigen Kindern, die alles mitsangen, waren zu beobachten.
An neuem Material waren "Immer auf der Suche", "Onkelz vs. Jesus"
sowie "Superstar" am Start. Bei "Danke für nichts" setzte
übrigens heftiges Pogen ein, und mit "Für immer" belegten
Stephan Weidner & Co., dass sie auch nicht ganz kuschelrockunverdächtig
sind. Auch wenn unsereiner nach "Nur die Besten sterben jung" den Onkelz-Triumphzug
dankbar gegen die Metaldisco im Zelt der Wet Stage vertauschte, bleibt als Fazit:
Beeindruckende Beziehung zwischen Band und ihrer Gefolgschaft; die Veranstalter
selbst sprechen gar vom "Highlight des Festivals".
>> Zur Foto-Galerie, 1. Tag: Donnerstag, 05.08.2004
>> Zum Festivalbericht, 2. Tag: Freitag, 06.08.2004
>> Zum Festivalbericht, 3. Tag: Samstag, 07.08.2004
Links:
>> Homepage Wacken Open Air mit Running Order
>> Tourinfo Motörhead bei POP FRONTAL
>> Tourinfo Böhse Onkelz bei POP FRONTAL
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