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Gesehen! 15. Wacken Open Air / Wacken, Festivalgelände auf der Wiese, 1.Tag: 05.08.04

Die bucklige Verwandtschaft

Text: Klaus Reckert     Fotos: Stephan Kunze

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Mit 15 darf man endlich legal Mofa fahren, und auch das in diesem Jahr gleichaltrig gewordene größte europäische Metal-Event macht einen erwachseneren Eindruck. Was die Veranstalter-Truppe um Sheree Hesse, Holger Hübner und Thomas Jensen '90 als zarten Spross und quasi private Feier gepflanzt hatten, setzt mittlerweile paneuropäische Völkerwanderungen an Musikfanatikern und Material in Bewegung.

Böhse Onkelz @ Wacken Open Air

Böhse Onkelz

Aus den offiziellen Statistiken: Über 130 Hektar Acker, sensationelle 37.000 Besucher mit Tickets, 64 Bands, fünf Bühnen, 1.000 Helfer, 500 Security-Mitarbeiter, 330 Sanitäter (und 1.800 Erstversorgungen sowie ein Krankenhaustransport per Helikopter) und 150 Ordnungskräfte der Polizei, 500 Dixies, 1.500 Fotografen und Schreiberlinge – war da sonst noch was? Ach ja - es mag das persönliche Schicksal von ebendiesen letztgenannten Leuten sein, die ohnehin recht viel auf Konzerte gehen und auch nicht zum ersten Mal beim W:O:A sind: aber über all diese Superlative hinaus gibt's hier praktisch keine Überraschungen mehr. Das Festival ist längst so etwas wie ein (gottlob) immer perfekter organisiertes Dorftheater geworden, bei dem sich alle zwei bis drei Jahre spätestens die Gastensembles, öhm, Bands abwechseln.

Wirklich mit Spannung erwartet wurde allerdings ganz allgemein der traditionelle Vorabend des eigentlichen Festivals, die "Night To Remember", da man sich hier zum zweiten (und letzten?) Mal die Böhsen Onkelz als Highlight erkoren hatte - als Vorboten ihrer (nach eigenen Angaben) Abschiedstournee. Für die Onkelz-Fans, welche prompt die größte Anzahl von Menschen rekrutierten, die jemals ein Tagesticket fürs W:O:A erworben haben, offensichtlich ein Leckerbissen. Für viele andere Anlass zu dann doch unbegründet gebliebenen Sorgen um den Charakter des Festivals. Doch vor diese Erfahrungen hatten die Götter noch über zwei Stunden Anstehen am Presse-Check-In bei Bratapfeltemperaturen sowie zwei weitere Bands gesetzt. Der Schweinerock von Zodiac Mindwarp setzte pünktlich Schlag 18 Uhr ein. Sänger Mark Manning klingt immer noch etwas wie ein desorientierter Graham Parker, das Publikum freute sich über den Beginn der Metal-Spiele, aber auch nicht viel mehr, soweit für uns erkennbar.

Ebenfalls weniger Metal als Rock'n Roll die zweite Band des Abends: Motörhead. Ihr Auftritt war ohne jede Frage hochroutiniert und motiviert (wie ja auch die launige Pressekonferenz zuvor schon hoffen ließ), allerdings fällt es ein wenig schwer, bei einer bereits zweistelligen Anzahl von miterlebten Lemmy&Co-Auftritten noch ungläubiges Kinderstaunen ob deren immer gleicher Strickmuster zu produzieren. Aber dafür kann die Band natürlich wenig, die mit dem Sex-Pistols-Cover "God Save The Queen" ihre Maxi-Single bewarben und mit Liedwidmungen an Joey und Dee Dee Ramone Sympathiepunkte sammelten. Ansonsten halt ein grundtypischer Motörhead-Gig.

Und nun gehörte die Bühne für rekordverdächtige mehr als zweieinhalb Stunden jenen teils verhassten, überwiegend aber abgöttisch geliebten Verwandten, für die ein Großteil der am Donnerstag das Infield bevölkernden Zehntausende gekommen war – den Böhsen Onkelz. Tatsächlich war es dieses Jahr wohl am Donnerstag schon so voll wie im Vorjahr bei Slayer. Für manche indiskutabel wegen ihrer rechtslastigen Vergangenheit, für andere schlicht musikalischer Auswurf und für ihre Fans, die das sogenannte Abschiedsalbum "Adios" gerade in die Charts gekauft haben, das reine Evangelium. Etwa 4.000 der Besuchermassen erklärten sich übrigens dadurch, dass Besucher des letztjährigen hochpreisigen Rolling-Stones-Gigs in Hannover auf Betreiben der Band Umtauschtickets für dieses Zusatzkonzert erhalten hatten.

Mit der Wacken-Pressekonferenz 2003 beginnend und bis zuletzt nicht verstummend hatte es bei Medien und Besuchern Befürchtungen gegeben, dass sich die Onkelz-Fans mit den "normalen" Wacken-Verrückten nicht vertragen könnten und dass es daher Auseinandersetzungen geben könnte. Diese Nervosität war auch noch am Donnerstag an einem zwar massiven, sich aber dezent im Hintergrund haltenden Polizeiaufgebot ablesbar, das sonst beim W:O:A nahezu unsichtbar bleibt. Tatsache aber ist, dass Rezensent zwar seine erste Hauerei beim sonst erzfriedlichen W:O:A just bei diesem Gig miterlebt hat, man aber keinesfalls von einer generellen Klimaveränderung oder Massenschlägereien sprechen kann. Im Gegenteil: ab einem gewissen Zeitpunkt schien es überhaupt nur noch Onkelz-Fans auf dem Gelände zu geben. Bei "Reicht mir die Hände" von "Finde Die Wahrheit" bekam Kevin Russel jedenfalls nahezu alle aufbietbaren Pfoten entgegengereckt.

Das ist aber auch einfach geschickt gemacht: mit einer keinerlei Hürden aus Komplexität oder Musikalität zwischen sich und die Hörer legenden Rummtata-Mitgröhl-Mucke und einem in vielen das Gefühl "Das kann ich auch!“ erweckendem Mikromann sowie vor allem diesen permanent das "Wir stehen zwar am Rand der Gesellschaft, aber in fest geschlossenen Reihen"-Gefühl schürenden Texten. "Mit dieser Band hast Du nicht viele Freunde, doch die, die Du hast, teilen Deine Träume! Die, die Du hast, teilen alles mit Dir" (aus "Danket dem Herrn") haben sie es geschafft, sich eine Basis aufzubauen, welche die bösen Verwandten reliquienhaft dafür verehrt, dass diese ihnen predigen, sich von niemandem etwas predigen zu lassen. Auffällig, dass sehr viele der Onkelz-Supporter in größeren Trupps mit einheitlicher Uniformierung auftraten, doch auch ganze Familien aus Vater, Mutter und zwei gerade mal 6-jährigen Kindern, die alles mitsangen, waren zu beobachten.

An neuem Material waren "Immer auf der Suche", "Onkelz vs. Jesus" sowie "Superstar" am Start. Bei "Danke für nichts" setzte übrigens heftiges Pogen ein, und mit "Für immer" belegten Stephan Weidner & Co., dass sie auch nicht ganz kuschelrockunverdächtig sind. Auch wenn unsereiner nach "Nur die Besten sterben jung" den Onkelz-Triumphzug dankbar gegen die Metaldisco im Zelt der Wet Stage vertauschte, bleibt als Fazit: Beeindruckende Beziehung zwischen Band und ihrer Gefolgschaft; die Veranstalter selbst sprechen gar vom "Highlight des Festivals".

 

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>> Zum Festivalbericht, 3. Tag: Samstag, 07.08.2004

 

Links:

>> Homepage Wacken Open Air mit Running Order

>> Tourinfo Motörhead bei POP FRONTAL

>> Tourinfo Böhse Onkelz bei POP FRONTAL

 

Wacken Open Air

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Zodiac Mindwarp @ Wacken Open Air

Zodiac Mindwarp

 

Motörhead @ Wacken Open Air

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Böhse Onkelz @ Wacken Open Air

Böhse Onkelz

 

Randszenen @ Wacken Open Air

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