Tortoise & Bonnie 'Prince' Billy: The Brave & The Bold - Anders als erwartet

Tortoise & Bonnie 'Prince' Billy:
The Brave and The Bold
(Domino / Rough Trade)

Wer hätte gedacht, dass – wenn sich die Soundtüftler von Tortoise mit dem singenden Melancholiker mit der creaky Stimme, Will Oldham aka Bonnie „Prince“ Billy, zusammen tun – ein Pop-Album dabei herauskommt? Jedwede Erwartung, die man sich vor dem ersten Hören angeeignet hat, sollte schleunigst über Bord geworfen werden. „The Brave and The Bold“ ist nicht die Platte, die man sich bei einer Kooperation der beiden Akteure vorgestellt hat. Sie braucht ihre Zeit, um zu wirken, nach dem ersten Hören bleibt in der Regel nur ein verstörter Gesichtsausdruck samt ungläubigem Schulterzucken. „Okay, diese Stimme kann nur Will Oldham gehören, aber der Sound? Tortoise?“ Auch dass „The Brave and The Bold“ ausschließlich aus Cover-Versionen mehr oder weniger oft gehörter Stücke besteht, merkt man oft erst beim Durchlesen der Copyright-Verweise. Wiedererkennungswert fast Null. Es lohnt, sich einmal die Originalversionen von u.a. Bruce Springsteen, Elton John, den Minutemen oder Devo anzuhören. Sind das wirklich gemeinsame Lieblingssongs oder eher gutes Ausgangsmaterial? Durchgängig abwechslungsreich und interessant bleibt diese Platte aber trotzdem, die beiden Universen von Tortoise und Will Oldham treffen aufeinander, Ideen verschmelzen und werden musikalisch bunt miteinander verwoben. Das klingt manchmal beschwingt rhythmisch („Cravo e Canela“), manchmal weich, fragil und fast verträumt („Thunder Road“). Mit kindlichem Eifer werden die Stücke wie Spielzeug auseinander genommen, erforscht wie sie funktionieren, um im Anschluss auf ungeahnte Weise wieder zusammen gebastelt zu werden. Über das Ergebnis kann man geteilter Meinung sein, sollte ihm aber die benötigte Zeit geben. „The Brave and The Bold“ ist ein Album geworden, das wohl keinem Mainstreamradiohörer wehtun, definitiv aber bei Freunden von Tortoise oder Will Oldham einen großen Anklang finden wird. Vielleicht sogar mit anhaltenden Nachwirkungen. Wer weiß? Der Wunsch nach selbstgeschriebenen Songs der beiden Akteure dürfte nach „The Brave and The Bold“ nur noch größer sein. Hoffentlich wird er irgendwann erfüllt. Genauso offen bleibt die Frage, ob man diese Kollaboration jemals auf einer Konzertbühne wird bewundern dürfen? In den letzten anderthalb Jahren wussten sowohl Will Oldham als auch die Herren von Tortoise live zu überzeugen (POP FRONTAL berichtete). Ob sie das auch gemeinsam schaffen? Zuzutrauen ist es ihnen!