Jeff Wagner: Mean Deviation – Four Decades Of Progressive Heavy Metal [Buch]

Jeff Wagner:
Mean Deviation – Four Decades Of Progressive Heavy Metal

Broschiert: 384 Seiten
Verlag: Bazillion Points, 2010
2. aktualisierte, erweiterte Auflage
Sprache: Englisch
ISBN-13: 978-0979616334

Dieses Buch ist einfach sauteuer! Und damit ist nicht das Preis-/Leistungs-Verhältnis gemeint. Denn das ist vorzüglich. Aber die Folgekosten… Da meint man als Musikschreiberling und jahrzehntelanger ProgMetal-Fan doch eigentlich das eine oder andere in diesem Beritt zu kennen. Und dennoch lassen unsereinen die Lektüre der knapp 400 Seiten mit einer wahrhaft erschreckenden „Auf jeden Fall kaufen“-Liste zurück. Von der nochmals monströseren „Müsste man wohl auch mal Anchecken“-Liste ganz zu schweigen…

Das ist betrüblich. Was hat der Band denn zu seiner Verteidigung zu sagen? Viel. Ein kluges Vorwort von Steven Wilson (Porcupine Tree, Ex-Blackfield, Solo) beispielsweise, in dem sich sogar eine brauchbare Definition von Progressive Heavy Metal befindet: „the truely innovative bands […] listen eclectically and see nothing strange in combining their influences. In doing so […] they create new musical hybrids, which […] is one of the basic tenets of any music that can call itself progressive“. Einen lebendigen, flüssigen und bei allem Fan-Sein um Seriösität bemühten Schreibstil. Und offensichtliche Sachkenntnis seitens des Autors Jeff Wagner, der u.a. mehrjährig Autor des US-Mags „Metal Maniacs“ war.

Das Werk ist in fünf Teile und 17 im Wesentlichen chronologisch fortschreitende Kapitel unterteilt. Eingangs wird uns beispielsweise die Bedeutung von ewigen Querköpfen wie Frank Zappa oder von Pioniertaten wie dem noch in diesen Tagen mit einer Fortsetzung versehenen Jethro Tull-Album „Thick As A Brick“ bestätigt. Art Rock wird (über Queen) eingeführt und „Icarus“ von Kansas (’75) nachvollziehbarerweise als eine der ersten Emulsionen von Prog und Heavy Metal ausgemacht. Ebenso erwartbar ist die Würdigung der frühen Black Sabbath (deren 5. Album als erste ProgMetal-Manifestation gefeiert wird), schon erstaunlicher die ausführliche Beschäftigung mit den frühen Scorpions.

Überhaupt überrascht und fesselt der Autor immer wieder mit Anekdotik und aus zahlreichen Interviews herrührendem Detailwissen – jedenfalls dürfte nicht jedem klar sein, wie sehr der Iron Maiden-Sänger Bruce Dickinson die VdGG-Ikone Peter Hammill verehrt (S. 7). Wenig später lernen wir dazu, wie bedeutend King Diamond/Mercyful Fate für ProgMetal war (S. 37) und warum Punk den Prog doch NICHT getötet hat (S. 47). Wir erleben erneut den stark vermutlichen Höhepunkt des Genres mit Queensryches „Operation Mindcrime“ inklusive aller Hintergründe sowie den Einzug des „Tech Metal“ (unter den hier u.a. Watchtower, Psychotic Waltz, Cynic, Atheist, Obliveon, aber auch die deutschen Sieges Even subsumiert werden). Wir erfahren, dass und wie die Thomas G. Fischer von den Schweizern Celtic Frost die US-Größe Watchtower an ihr Label Noise weiterempfohlen hatte.

Auch die Bedeutung vom POP FRONTAL-Thema Livemusik kommt hier nicht zu kurz, wenn wir etwa miterleben, wie beim niederländischen Headway Festival 2004 Watchtower und Sieges Even – Inspiration und Inspirierte – erstmals aufeinandertreffen. Oder wenn es um DIE Tournee im ProgMetal überhaupt geht, als im Sommer 2003 Queensryche und Dream Theater als Co-Headliner die USA betouren, mit Fates Warning als very special support (vgl. auch Symphony X’s „Gigantour“ 2005, mit Megadeth, Dillinger Escape Plan und Fear Factory). Einen weiteren Pluspunkt für POP FRONTAL-Leser dürften die zahlreichen Live-Fotos darstellen, mit denen das Buch üppig illustriert ist. Und hier noch ein faszinierender O-Ton zu einem wohl einzigartigen Konzert, bei dem das Stammpublikum der Retroprogger Änglagård nicht wirklich mit dem der Black Metal-Institution Mayhem (die die Progger bewunderten) harmoniert: „When Änglagård made a live appearance in Mayhem’s hometown of Oslo, metalheads outnumbered proggers. According to legend, the prog metal crowd stayed home, afraid of Mayhem’s black metal mafia, who apparently donned capes and corpse paint for a night on the town.“ (S. 251). Im Unterschied zu seinem Kollegen und Chronisten des Progressive Rock Stephen Lambe, kennt und würdigt Wagner sogar das ProgPower Europe-Festival (S. 330), das alljährlich Anfang Oktober im niederländischen Baarlo veranstaltet wird und Vorbild der gleichnamigen US- und UK-Ableger war.

Im weiteren Verlauf der spannenden Historie werden neben hunderten anderer erwähnt oder sogar hervorgehoben: Voivod (natürlich), Amorphis, Death, Cynic, Pestilence, Obscura, Exivious, Extol, Spiral Architect, Spastic Ink, Scale The Summit, Animals As Leaders, Devin Townsend, Mekong Delta, der Grenzbereich zum Black Metal (Ulver, Solefald, Agalloch – leider nur kursorisch -, Leprous (die aber nur als Ihsans Backing Band auftauchen), Meshuggah, Sigh

Gibt es denn gar nichts zu meckern? Kaum. Auf der kurzen Mäkelliste ganz oben: Mit ganz viel Suchen kommt man auf ein paar Bands, die hier fehlen, die aber eine Aufnahme verdient hätten: Disillusion, Dante, Elend, Embraced, Ensoph, The Haunted, um nur einige zu nennen. Doch das dem bereits 2010 erschienen Werk wirklich vorzuwerfen, wäre schon Jammern auf allerhöchstem Niveau. Wie schrob Steven Wilson? „In Jeff Wagner’s ‚Mean Deviation‘ we have a definitive book on the relationship between metal and progressive music, and the myriad variation of stylest hat it has given rise to“. Wie wahr!