
Während das Debütalbum in atmosphärischen und traumhaften, von epischem Chorgesang geprägten Klangwelten verortet war, wartet "Ease" mit härteren, elektronischen Stücken auf, die einen experimentellen Anspruch mit Einflüssen des Dark Ambient Drone, unterkühlten Coldwave und kosmischer Synthesizermusik vereinen. Die Übergänge auf dem neuen Album sind abrupter als zuvor und symbolisieren die schwierigen persönlichen und sozialen Umbrüche ihrer Entstehungszeit. Den Chor gibt es nicht mehr. An seine Stelle tritt Wehners Gesang, der eine zentralere, hypnotisch anmutende Rolle einnimmt. Die Klangbilder des ersten Albums weichen einer düsteren Atmosphäre, in der die Melodie von einer einzigen Stimme getragen wird. Eine Stimme, die keinen kollektiven Klang mehr hat, sondern Isolation und Intimität verkörpert. "I've lit my own fate", singt Wehner auf "Sun Escape?. Ein Schicksal, das er auf diesem Album akribisch zerlegt.
So verhandelt der Song "Neon" beispielsweise den "Umgang mit Erwartungen und Druck. Mit dem Gefühl, sich allmählich in ihnen aufzulösen". Wehner findet aber auch Trost in den Zwängen des modernen Lebens: "Es geht auch um das Akzeptieren von Enttäuschung. Darum, dass Instabilität manchmal der einzige Weg ist, um neue Kraft zu schöpfen. Das Album schließt mit dem sehr beruhigenden Gedanken, dass wir im Kampf um dieses Gleichgewicht alle im selben Boot sitzen". In "Cara" kommt Wehner zu einem weiteren, erkenntnisreichen Schluss, mit dem sich zweifellos viele von uns identifizieren können: "Der persönlichste Song des Albums verhandelt etwas, das ich im Laufe meines Lebens immer wieder lernen musste: Toxische Menschen sind die ersten, die sich zu dir gesellen, wenn du glänzt und die dich runtermachen, wenn du am Boden liegst. Vor solchen Menschen muss man sich in Acht nehmen."
Die Songs sind zugleich introspektiv und universell, aber auch an einem bestimmten Ort und in einer bestimmten Zeit verankert. In der Geschichte hinter dem Opener "Atoria" spiegelt sich Wehners Gespür für die Gegenwart und seine Sensibilität für alles Flüchtige und Vergängliche. Jahrelang stand das Astoria Hotel in der Leipziger Innenstadt leer. Sein Schriftzug löste sich langsam auf und mit dem schwindenden ?S' der Leuchtreklame wurde sein Name zu "A_toria" ? bis zur Renovierung der letzten Jahre. Wehner deutet dies als Symbol, dass selbst mit dem Wiederaufbau ein Verschwinden einhergehen, beziehungsweise das Verschwinden einen emotionalen Stellenwert erlangen kann. Ebenfalls in der affektiven Dimension von Orten verwurzelt ist das rauschartige Wiegenlied "Nightfall/Daylight", das Wehner als Soundtrack für eine Person beschreibt, die "halb bewusstlos und schlafwandlerisch durch die Stadt taumelt. Sein Klang verkörpert dieses rastlose Gefühl, das man verspürt, wenn man einen Ort durchquert, den man zwar kennt, in dem man sich aber selbst nicht ganz verorten kann".
"Ease" beschränkt sich jedoch nicht nur auf das autobiografische Abarbeiten von Erlebtem. Auf ihm finden sich auch Songs wie "Sun Escape", die in einer fiktiven Zukunft spielen, die inzwischen gar nicht mehr so weit hergeholt scheint. In vorausschauender Weise skizziert der Song "eine Welt, in der Menschen nicht mehr nach draußen dürfen und folgt einer Figur, die mit zunehmender Einschränkung ihres Denkens und Handels vollkommen wahnhaft wird". "Je weniger man sich traut, desto mehr löst man sich auf", schlussfolgert Wehner. Das Album gipfelt im Abschlusstrack "Sound Sleeper", dessen Inspiration Wehner folgendermaßen beschreibt: "Ich stolperte über einen Artikel, in dem ein kleiner Junge zum ersten Mal über ein traumatisches Erlebnis in seiner Vergangenheit spricht und baute den Songtext von "Sound Sleeper" auf den erschreckenden Bilder auf, die er beschreibt. Diese Bilder habe ich in einen Loop gepackt, der einen wie ein gespenstisches, nicht enden wollendes Mantra einnimmt und einfach nicht mehr loslassen will".
Der schlicht anmutenden Titel ist angesichts der oft aufwühlenden und tiefgründigen Thematik des Albums natürlich irreführend. Wehner beweist in den neun Songs erneut sein musikalisches Gespür für Kontraste, für das Wechselspiel zwischen hellen und düsteren Klängen. Man könnte sich fragen, ob sich die Ohren ebenso schnell an die wechselnden Lichtverhältnisse gewöhnen wie die Augen. Mit Songtiteln wie "Black Wine" und "Neon"? "Nightfall/Daylight" und "Sun Escape" findet sich der Kontrast zwischen Hell und Dunkel auch in den Titeln der Stücke wieder. Für Wehner hat sich in den letzten sieben Jahren vieles verändert und folglich sind auch die "Warm Graves" auf "Ease" nicht mehr dieselben wie zuvor. Indem sich Jonas Wehner jedoch in die Idee der Transformation, der Dekonstruktion und des Wiederaufbaus vertieft, kehrt er mit einem Album zurück, auf dem die Qualität seiner Musik und seines Songwritings neue Höhen erreicht.
Warm Graves wurde 2012 von Jonas Marc Anton Wehner ins Leben gerufen. In den Jahren nach dem Release ihres epischen Debüts "Ships Will Come" aus dem Jahr 2014, tourten Warm Graves mit Bands wie Exploded View und Moon Duo und standen unter anderem mit The Soft Moon, Crystal Stits, Efterklang und Moonface auf einer Bühne. Neben ihren eigenen Headline-Tourneen durch Europa traten sie auch auf internationalen Festivals wie The Great Escape, ATP, Iceland Airwaves, Roskilde und Eindhoven Psych Lab auf. Nachdem Warm Graves in den vergangenen Jahren im Verborgenen an "Ease" arbeiten, treten sie nun sowohl live als auch auf Tonträger wieder in Erscheinung ? und zwar mit einer neuen Live-Band, einem neuen Album und der Neuauflage von "Ships Will Come", das ebenfalls auf ihrem neuen Label Fuzz Club Records erscheint. (Text von Ricardo Domeneck und Fuzz Club)